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frei   unabhängig   akadähmlich   parteiproporzlos   sachlich und nebensächlich

Philip K. DickThe basic tool for the manipulation of reality is the manipulation of words. If you can control the meaning of words, you can control the people who must use the words.

Philip K. Dick (1928 - 1982)








Materialverschwendung

Plastik, NORD/LB Hannover, 2004rdsIst ernsthaft der Standpunkt vertretbar, es wäre an sich doch ungehörig, so viele noch funktions- und leistungsfähige Herzen, Leber und Lungen -die trotz des bedauernswerten Betriebsunfalles Tod ihres in Organbestandteile zergliederten männlichen oder weiblichen Original- und Erstbesitzers doch noch weiterhin funktionstüchtig wären -einfach dem Bestatter zur Entsorgung mit zu überantworten? Frei nach dem Motto: Materialverschwendung!

Die Logik, die den Menschen umfassend als Bewirtschaftungsobjekt begreift, nötigt die Erweiterung des Recyclinggedankens auf. Auf jeder popligen Dose wird jetzt Pfand erhoben. Doch niemand pfändet, wogar von Staates wegen und dem Gemeinwohl verpflichtend, und was immer das sein soll, unter Berücksichtigung (welcher?) moralischer Auswahlkriterien dem noch frohgemuten Erstbesitzer, quasi aus dem Leib heraus, sein Herz. Zum Glück. Werber der medizin-technischen Machbarkeit, fördert die Freiwilligkeit! Notfalls werbepsychologisch austariert und auf Hochglanzpapier. Arbeitsämtern, Personal-Service-Centern, Job-Agenturen, vielen tausend hartz-gestälten Ich-AG'lern und vor sich hindümpelnden Ex-ABM'lern müsste längst klar geworden sein, dass die eigene Arbeitskraft, sein Wissen und Know how selbst tagesaktuell, selbst demütig anbieten, längst nicht mehr hinreichend sind. Dein Mehrwert liegt in Dir. Mach was daraus! Und lerne deinen Körper, Körperteile, Organe, als von der menschlichen Individualität abgelöste Objekte aufzufassen. Nur was repräsentiert noch Individualität, was bleibt noch vom In-dividuum, dem Ungeteilten, als womöglich unverwertbarer Restbestand, wenn das "Königsorgan" Gehirn auch noch beliebig austauschbar werden sollte?

Aber Halt! "Nichts in der Welt ist so ehrwürdig, dass es einen Schänder nicht fände." Das war vor annähernd zweitausend Jahren schon Einsicht Seneca's. Sarkasmus, wo medizinischer Fortschritt Todgeweihten helfen könnte, aber aus Ressourcenmangel oftmals schuldlos versagen muss? Oder gar philosophisch verbrämte Betrachtungsweisen über Tod, die Endlichkeit menschlichen Lebens und die Nichtakzeptanz dessen bei vielen? Versagung von Empathie gegenüber den Betroffenen und Verweigerung von Nähe aus eigener Angst und Hilflosigkeit? Passt ja alles nicht in die zerrinnende Spassgesellschaft. Gezielte Organgewinnung und Kultivierung aus Stammzellen und Xenotransplantation sind Forschungsziele, noch keine allzeit gangbare Alternative geworden. Trotz 98,7 prozentiger genetischer Übereinstimmung zwischen Affen und Menschen, lässt sich die versoffene Leber eines Guts- und Herrenreiters, die metastasierte Niere eines verträumten Maybachfahrers nicht so ohne weiteres gegen die unbelastete eines Schimpansen austauschen. Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, verschärft durch Mangel, und unseren Umgang mit Primaten und anderen Mitgeschöpfen berühren sich hier. Eine Überflussgesellschaft wären wir doch. Von wegen. Erst wenn jeder nach seinem Bedarf, klassen- und schichtspezifisch selektiert, also der Manager sein Managerherz, der Vorstandsvorsitzende sein Vorstandsvorsitzendenherz, der Prinz sein Prinzenherz, unter Berücksichtigung marktwettbewerblicher Gesichtspunkte weltweit nachordern kann, sind wir der Mangelwirtschaft entronnen und der totalen Ökonomisierung alles Menschlichen zum Verbrennen nahe genug. Warum dann also nicht hunderttausend Euro für ein exquisites Sportlerherz, zehntausend für das des armen Bangladeshi und Organspenderzentren bundesweit und flächendeckend wie Blutspendedienste?  Ein bisschen mehr wie eine Brotzeit und ein "vergellt's Gott" muss es dann halt schon kosten.

rds

Texte, inhaltliche Verantwortung und ©Copyright, insofern Beiträge nicht gesondert namentlich gekennzeichnet sind: RALF-DIETER SEEMKE, Hannover/Berlin

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"Die Gefangenen trösten", Plastik von Lutz Hellmuth, Erfurt - Foto: rds2008Es ist viel bequemer, die Bürgerrechte zu feiern, als sie im Ernstfall zu verteidigen; es ist auch viel bequemer, sie als ein formelles Recht zu verteidigen, als politisch wirksam von ihnen Gebrauch zu machen. Sogar jene, die am ehesten dazu neigen, diese Freiheiten aufzugeben, tun es gewöhnlich ausgerechnet im Namen der persönlichen Freiheit, die sie verraten. Es ist außerdem leichter, rückschauend das Recht eines anderen auf persönliche Freiheit zu verteidigen, als selber in der Gegenwart mit aller Entschiedenheit von diesem Recht Gebrauch zu machen.                              C.Wright Mills

"Die Gefangenen trösten", Plastik von Lutz Hellmuth, Erfurt







ist jetzt: d i g i t a l c o u r a g e




ANONYMITÄTSTEST

                                                                                                                                         

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WEM IST DER STAAT SCHULDNER?


Den Banken?[1]

Wer sind seine Gläubiger?

Einige reiche Familien?

In Deutschland? In Europa? Weltweit? Namen.., Namen! Namen? Gebr. Albrecht, Henkel, Beisheim, Mohn, Quandt? Oder zählen auch volksrepublik-chinesische Neureiche dazu, falkenjagende, märchenhaft reiche Wüstenscheichs in den Ölstaaten am Golf, russische Oligarchen, ihre einheimische Bevölkerung ausbeutende oder gerade abschlachtende totalitäre Diktatoren und Militärs in Schwarzafrika, südamerikanische Drogenbosse und nordamerikanische, nimmer satte, gierige Finanzjongleure und Spekulanten? Alles verhüllt und verborgen hinter einem Schleier des Nichtwissens? Oder des nicht Wissen wollen und sollen?

Niemand muß -im Sinne von Hegel- den Staat als die Verwirklichung der höchsten sittlichen Idee betrachten. Und die Familie, eingebettet in die "Bürgerliche Gesellschaft", beide zusammen als das staatstragende Ensemble. Das ist alles Schnee von gestern. Auch muß man den Staat, abstrakt betrachtet, oder den Staat, in dem man zeit- und zufällig geboren und aufgewachsen ist und residiert, nicht lieben, so, wie schon zu seinen Lebzeiten der einstige Bundespräsident Gustav Heinemann solche Liebe dem Staat zu Gunsten seiner Frau verweigerte. Allenfalls kann man mit ihm renommieren, ohne gleich in Staatsfrömmigkeit abzugleiten.

Nach einer Meldung von Spiegel-Online vom 9. Januar 2010, beläuft sich die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr auf die bislang noch nie erreichte Rekordsumme von voraussichtlich 86 Milliarden Euro. Der Schuldenstand des gesamten deutschen Staates, also Bund, Länder und Gemeinden, summierte sich Ende 2009 auf die gigantische Summe von 1768 Milliarden/ 1,768 Billionen Euro! Die Zinszahlungen für Kredite sind bereits der zweithöchste Ausgabenposten im Staatshaushalt.

Indirekt bedeutet jede Steuersenkung auf Pump -oder es wird nach dem Prinzip 'linke Tasche-rechte Tasche' verfahren- eine weitere Alimentierung und Begünstigung der Großbanken und Superreichen, denn irgendwer muß doch dem Staat das Geld, das er nicht in seinem freien Besitz hat oder einnehmen kann, zinsbringend für die Erfüllung seiner unvermeidbaren Aufgaben zur Verfügung stellen. Wenn nicht die Großbanken und reiche Privatleute, Versicherungskonzerne und mächtige Firmenkonglomerate, wer dann? WER?

Die Bürger müßten Steuersenkungen eigentlich mit größtem Mißtrauen begegnen -und einer neueren Umfrage zufolge, tut es bereits ein sehr großer Teil- so sehr verlockend einige Euro mehr in der eigenen Tasche auch sein mögen und für die Binnenkonjunktur förderlich wirken könnten.

Ein überschuldeter Staat befördert in diesem unausweichlichen Dilemma, für seine eigentlichen Aufgaben keine ausreichenden Finanzmittel zu besitzen und einzunehmen, sie aber verfassungsgemäß erfüllen zu müssen, unbeabsichtigt oder blind, die Zementierung des bestehenden und horrenden gesellschaftlichen Ungleichheitsytems, und er ist auf dem schleichenden und gefährlichen Weg, zur Satrapie einer überstaatlich, global organisierten und agierenden Minderheitsklientel und deren eigenwilligen und unabhängigen ökonomischen Interessen herab zu sinken. Seine Politik wird zur dienenden Magd ihrer unautorisierten Herrschaft mittels dieser unaufhörlich anwachsenden Finanzmasse in nur wenigen Händen. Der Staat ist somit nicht nur erpressbarer Schuldner, über lobbyistisch begleitete Gefälligkeitsgesetzgebung weit hinaus gehend. Die Politik, von Parteien mit ihren Partikularinteressen und karrieristisch-korrupten Auswüchsen bestimmt, hat die Bürger schon immer in Mithaftung genommen und gehalten. In der bedrohlichen Verschuldung offenbart sich die ganze Doppelgesichtigkeit des Staates: Der Bürger zieht sich selbst den Strick zu, den ihm der Staat aufgrund seiner eigene Bedürfnisse und Forderungen an ihn um den Hals gelegt hat.  

rds 10.01.2010


ANMERKUNGEN:

[1] Ausgerechnet - und das nach diesen katastrophalen Bankenpleiten und den Milliarden Euro teuren Rettungsmaßnahmen durch den Staat! Aber die Banken -als "bestimmende Akteure des Kapitalismus"- sind ja "systemrelevant", auch als Kreditvermittler für den "sicheren" Dauerschuldner Staat. Dieser schuldet den Banken sein Wohlwollen, weil er von ihren "Finanzdienstleistungen" abhängig bleibt. Woher eigentlich nimmt der Staat die Milliarden Euro für die Rettungshilfe und Unterstützung der Banken, in einem Systemkreislauf aus Schulden machen und verschieben in die Unzeit? 

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WUNSCHLOS IM DOWNLOAD-PARADIES ?

Denn wie keine Wünsche haben tot sein bedeutet ... Thomas Hobbes, Leviathan


Was ist Reichtum? Was ist Überfluß? Was ist Mangel? Was sind Befriedigung und Zufriedenheit? Was bedeuten Unsterblichkeit und ewiges Leben für einen Einzelnen, was für die Masse Mensch? Umfassendes, an sein Ende gekommenes Wissen: Ist das wünschenswert? Das neue Auto, Liebe, sind naheliegend. Zu jeder Zeit, von allen Dingen das rechte Maß. Wer befindet, was das rechte Maß ist? Sind alle Dinge jemals zu bewerkstelligen? Und tun sie dem Betrachter meist nicht mehr als eine ästhetisch aufgewertete, nutz-und funktionslose Funktionalität zu suggerieren? Ewige Jugend? Weil Erschöpfung und Auszehrung die wahren Merkmale des Alters sind, Weisheit nur seine verklärte Umschreibung. Wohlgefälligkeit im Angesichte Gottes? Gott ist vermutlich das wirkungsmächtigste Symbol, das Menschen in ihrem Bedingungsgefüge -dem strukturdeterminierten Menschsein- hervorgebracht haben. Macht besitzen oder das kleine stille Glück vorziehen und bescheiden genießen? Oft ist das kleine stille Glück nur mit der Zulassung zur großen Verblendung realisierbar. Macht, Herrschaft; sie diktieren den Anderen ihre Mittel zur eigenen Weltaneignung und bestimmen ihnen unwidersprochen: Das ist die Welt in der du bist, nun lebe!

Gerechtigkeit, Freiheit, persönliches Glück; Schönheit -Ich will so bleiben wie ich bin und Alles soll so bleiben wie es ist- . Dagobert Ducks Erbe sein. Sicherheit -unter welchen Vorzeichen auch immer. Oder ein gefeierter Filmstar sein? Oder nur einen Wunsch haben: Leben! Ich lebe das erste und einzige Mal, ich kann es weder gut oder schlecht tun, ich kann es nur überhaupt tun. Leben als Wunsch. Und das Weiterleben dann wunschlos gestalten. Vergeistigt, asketisch, körperenthoben, ohne Wünsche sein. Völlige Bedürfnislosigkeit. Käme das einer Art idealer Zufriedenheit nahe? Der ganzen Welt nicht mehr zu bedürfen? Nur wozu bedarf ich dann noch meiner selbst, als Teil der Welt? In der Welt. Ist es nicht eher die Huldigung einer zeitungemäßen Monadologie und eines unerquicklichen Solipsismus aus dem philosophischen Elfenbeinturm heraus, der sich mehr als ein theoretischer Hochsicherheitstrakt erweist?

Life isn't shareware.

Das uneingelöste, kategorisch imperativ formulierte Versprechen des technisch-wissenschaftlichen Zeitalters ist: Unter Ausschluß jeglichen Leides und Leidens quasi die harmonisierte Unsterblichkeit aus dem jenseitigen, imaginären Paradies, an und "in" dem die Menschheit über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg metaphysisch und oft genug auch tödlich konkret gewerkelt hat, auf die Erde, in die Gegenwart "herunter-zu-laden".Medizin- und alle sonstigen Arten von Technikern werden zu Initiatoren und Funktionswarte des "Download Paradies", dessen Realität aus nichts weiter als einem Fitneßstudio zu bestehen scheint, in dem Methusalem mit austausch- und erneuerbaren Körper- und Organteilen auf dem Laufband durch die vermeintliche Ewigkeit joggt. Sein Geist, sein Intellekt ist zu lebenslänglichem Lernen und damit zur verewigten Belehrung durch andere bestimmt. Kann das alles Spaß machen oder sogar lustvoll sein? Sind wir dann wunschlos in unserem Paradies? Das dann unsere Realität ist, aber nur als ein Shareware-Programm daherkommt und daher nicht die Realität an sich sein kann. But life isn't shareware. Mit einem Leben als dann doch zeitlimitierter Teilversion eines noch kostenpflichtig zu erwerbenden Vollprogramms sollte sich keiner zufreiden geben.

Chesky Krumlov, 2004rdsDie Erkenntnis und Postulierung eines personalisierten Gottes war immer nur die Erkenntnis und Postulierung eines Einzelnen oder die einer kleinen, elitären Gruppe von Menschen, die dieses "wahre" Erkennen Gottes für sich reklamierten. Nie war über die unklaren, oft als Bedrohung empfundenen, animistischen naturreligiösen Gefühlen und Empfindungen hinaus , als jedes Ding noch wie ein Gott schien, die Gotteserkenntnis ein ganzheitliches und zeitgleiches Erfahren aller Menschen in allen Sprach- und Kulturräumen, sondern bedurfte der Mittlerschaft oder einer Ideologie von Auserwähltheit. Der monotheistische Gott, die polytheistischen Gottheiten wurden zu Machtinstrumenten selbstgesetzter Herrscher- und Priesterkasten; das Erfinden -den Glauben setzen- und Verschwindenlassen -säkularisieren- gebräuchlicher Gottesvorstellungen über die geschichtliche Zeit hinweg sind Handwerkszeuge der Manipulation zur je gegenwärtigen Gestaltung eigener Zwecke und eigenen theistischen oder atheistischen Sinns gewesen. Der exklusive Zugang zu Gott oder die ebenso exklusive, sich mit dem Idiom aufklärischer Wissenschaftlichkeit gebende Erklärung der Nicht-Existenz Gottes sind die zwei scharfen Schneiden des Schwertes in der Hand des spätgeborenen Leviathans.

Prag. Die große Astronomische Uhr am Rathaus, 2004rdsHeute müssen wir den Menschen das mit Gottes-/ Jenseits- und Gerechtigkeitsvorstellungen verhaftete Paradies endgültig ausreden. Hier auf Erden, diesseits und in der Gegenwart soll und muß umfassend Glückseligkeit konsumiert  und nicht in ein schillerndes Jenseits transzendiert werden. Es gibt keine paradiesischen Genüsse und Vorstellungen, die eine zu geballter Kraft geformte irdische Ökonomie nicht erfüllen könnte und eben zur Statuierung des "Download Paradies" nicht nur verheißen, sondern auch erfüllen muß.  Befriedigung -Befriedung und Gerechtigkeit?- findet sich nur noch in der quantitativen und qualitativen Fülle eines Lebens, das ausschließlich als wachstumssteigerndes Konsumentenleben vorgesehen ist. In der gezielten Wunscherweckung und Wunschbefriedigung muß der Dialer einer nachhaltigen Unersättlichkeit dauerhaft aktiv bleiben. Denn nicht Befriedigung ist das Ziel, ungültig das archaische Gebot: Du sollst nicht begehren ..., sondern das Begehren ist als normativer Imperativ einer globalisierten Weltökonomie zu begreifen. Wer wunschlos glücklich ist wäre demnach ein Saboteur und Anarchist. Oder wie Thomas Hobbes befand: eigentlich tot.

Wer aus dem Zustand der Jugend, "dem Dumpfland unbegrenzter Hoffnungen" vertrieben worden ist, trotz wehrhaften, aber schließlich nutzlosen Widerstandes hinausgestoßen, dem werden sich die Ideen, Vorstellungen und Hoffnungen an der harten Realität abschleifen, belauert von dem ganzen puren Zynismus, allzeit zum tödlich giftigen Biß bereit, der hinterhältige Fragen stellt von der Art: Blüht denn die Menschheit auf, seit Gott tot ist? Was hat uns in das Leben gezwungen? Werden wir Sklaven einander sein (und bleiben), ein jeder für jeden? Ganz ausgeliefert hat sich der Mensch (mit seiner Vernunft) dem Menschen (mit seiner Unvernunft) neu. Wozu? Gott ist und bleibt als Teil unserer Welterklärung nicht länger notwendig und wir brauchen keinen Beobachter, der uns durch das Puppenstubenfenster in der Puppenstube unseres Daseins beäugt. Es wird auch kein endzeitliches Weltgericht kommen: Wir sind uns ganz unserer gegenseitigen Willkür unterworfen. So, von einem Gotte, Richter im Tode weder begünstigt noch verworfen, schreite ich allzeit frei?

Thomas Hobbes 1588-1679Hobbes fand vor über dreihundertfünfzig Jahren in der menschlichen Natur drei hauptsächliche Konfliktursachen: Erstens Konkurrenz, zweitens Mißtrauen, drittens Ruhmsucht. Wie befindet und urteilt wohl eine Menschheit in ferner Zukunft mit Theorien des 30. Jahrhunderts über uns heute? Oder sind wir alle und unsere noch weitgehend konventionell gezeugten Nachkommen bis dahin schon längst in gegenseitigem Haß verglüht? Die Deutschen, ein Volk, mutiert vom Land der Dichter und Denker ins Reich der Richter und Henker, unverdient schicksalsbegnadigt, die Asche der von ihnen eigenhändig verbrannten Völker noch im stieren Gesicht haften, beweisen sich heute als ungetaufte Jammerländer. Aufgrund mangelhafter Humanressourcen droht ihnen, erst klammheimlich, still und leise, jetzt zur Overtüre hochstilisiert, der Konkurs, die demographische Auszehrung, der kollektive Volkstod.

Das gegenwärtige Paradies hat kinderlos zu sein, wenn es denn nicht schon ausländerfrei ist! Unsere intensiv betreute Bedürfnisbindung an die Konsumobjekte soll von niemand bezweifelt oder infrage gestellt werden. Zeitgemäß, dem globalisierten Wirtschaftsdenken konform wäre es, aus dem Mangel an Nachwuchs -kleinen, süßen, niedlichen Babys- einen hochemotional besetzten, identitätsstiftenden, frei konsumierbaren Markenartikel zu machen. Die Bio-Medizin-und Gentechnologie wird uns da in naher Zukunft extrem variable Möglichkeiten offerieren. Ziel muß es aber sein, um bevölkerungspolitische "Nachhaltigkeit" zu erreichen, vom Edelprodukt zum Massenkonsumartikel zu kommen. Das vom Lesbenpaar aus der universalen Samenbank georderte Sperma-home-set, autonom vaginal injiziert, ist mit einem Qualitäts-Preis-Verhältnis ökonomisiert und dazu als ein feministischer Befreiungsakt wider der männlichen Penetrationsdominanz verklärt worden. Der kleine biologische Vorteil, die Gebärausrüstung quasi just in time immer mit sich herumzutragen, verkennt die nach wie vor frauenrare wissenschaftliche Bastelleidenschaft, deren harmloseste Form sich in ungezählten Hobbykellern austobt. Die voll funktionsfähige, technisch ausgereifte, künstliche Gebärmutter wird kommen.(1) Das lästige Suchen nach dem Eizelleneinkauf via Internet nach einer geeigneten und im Doppelsinn bezahlbaren Leihmutter hört dann auch für Homos auf. Die georderte, sündhaft teure 1A-Produkt-Eizelle oder, wer es sich nicht leisten kann, das Standardqualitätsei aus selektierten Dritte-Welt-Importen, werden dann mit dem gelieferten eigenem Sperma fabrikmäßig in freien Instituten einiger schon heute in der Bio-und Gentechnologie involvierter Weltfirmen in der Petrischale zu einem humanen Fruchtcocktail aufbereitet. Via Internet Webcam, quantenkryptisch passwortverschlüsselt, ist dann nicht nur unserem Homopaar, sondern auch allen Heteros, denen der konservative Weg gar zu beschwerlich, weil lustlos, und karrierehinderlich geworden, möglich, jederzeit Einblick in den gläsernen, künstlichen Uterus zu nehmen und sämtliche Wachstumsphasen orts-und zeitungebunden mitzuverfolgen. "Entbindungen" erfolgen wunschtermingemäß, Anwesenheit ist nicht erforderlich; Versand per Post oder Eilkurier in artgerechten Boxen und Käfigen: VORSICHT! MENSCH! 

Möglicherweise lassen sich auch Tiere für Gebärdienste verzwecken. Bei der fast identischen genetischen Ausstattung von Menschen und Affen, müsste sich doch eine Äffin finden lassen. Vielleicht tut's auch ein Schwein? Viele jedoch werden im medizintechnischen Wunderland, dem Paradies eben nur scheinbar unbegrenzter Möglichkeiten, leider auch wieder nur ein "Volkskind" haben; nicht jeder kann sich heute Porsche oder Ferrari leisten. Dafür sorgt schon die von Hobbes beschriebene Ruhmsucht, die zu Übergriffen der Menschen untereinander des Ansehens wegen führt. Es sei denn, einem Welttyrannen gelänge es, eine genetischen Einheitsgrundausstattung durchzusetzen und den Willen und die Macht zur Differenzierung zu überlisten. 

Alle Lust will Ewigkeit und versteckt sich hinter einem leeren Begriff. Mit der Ewigkeit, und von ihr umhüllt das ewige Paradies, verhält es sich wie mit Gott: Sie können nur beschrieben werden innerhalb der Grenzen unserer menschlichen Phantasie, Transzendentfähigkeit und Vorstellungskraft; daher das Gleichnisverbot: Du sollst dir kein Bild/kein Gleichnis machen. Das Christen, Juden und Moslems gleichermaßen verheißene und ersehnte Paradies, in der Ausstattung differenziert, -die 56. Sure des Korans verspricht den Moslems als Lohn für ihr gerechtes Erdentun, das schon halb darin besteht, im Gegensatz zu den Ungläubigen ein gläubiger Moslem zu sein, "Jungfrauen mit großen schwarzen Augen, gleich Perlen, die noch in ihren Muscheln verborgen sind" -bleibt so dem leibhaftiger Despoten, Tyrannen, Fürsten und Königen gezwungenermaßen aus eigener Schwäche erduldeten Zugriffs auf die Fülle aller Reichtümer dieser Welt gegenwärtig, immer dem Diesseits entlehnt und verhaftet.

Ewige Promiskuität, ewige Orgasmuskaskaden, ewige Trink-und Schmausgelage, ewiges vergeistigtes Hosianna und Frohlocken, da wird einem nach irdischen Maßstäben auch ewig schlecht sein. Alle Lust will Ewigkeit, hat aber die Kraft zum Genuß nur, wenn sie auf ihr Ende ausgerichtet ist. Goethe läßt im Faust Mephistopheles sprechen: "Ich bin der Geist der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles was entsteht Ist wert dass es zugrunde geht; Drum besser wär's dass nichts entstünde." Und Hegel formuliert in seiner Wissenschaft der Logik": (...) das Sein der endlichen Dinge als solches ist, den Keim des Vergehens als ihr Insichsein zu haben; die Stunde ihrer Geburt ist die Stunde ihres Todes." Die Kraft zum Leben erwächst daher nicht nur aus einer religiös ausgerichteten Ewigkeits- und Jenseitsvorstellung, -Ich war vorher ewig nicht und werde nach meinem Tod, wie alles andere, ewig nicht mehr sein-. Das Dazwischen der Ewigkeit sollte mir ausreichender Anteil sein.(2) Alle Paradiese haben überdies ein Bevölkerungsproblem: Es wollen zu viele hinein. Aber nur so wie wir wollen, so viele Menschen bleiben in allem außen vor.

rds

Anmerkungen:

(1) "Zum Beispiel Leihmütter - das ist auch etwas, das wir heute schon kennen; es wird nicht lange dauern, bis auch das überflüssig sein wird; wenn einige von ihnen daran denken sollten, Leihmütter zu werden, dann würde ich dringend davon abraten. Die Industrie wird es bald "besser" machen, das heißt, bald werden wir künstliche Uteruse haben, sodass wir ein Ei befruchten können mit einem Spermium aus einer Samenbank, wo wir uns natürlich die Spermien aussuchen werden von den Menschen, die uns am besten gefallen; in unserer Welt könnte das am ehesten ein Sportler sein; dann wird dieser Mensch in einem Brutkasten, einem künstlichen Uterus gezüchtet werden." Joseph Weizenbaum, Mensch und Computer - gibt es eine künstliche Intelligenz? in: Individualität, Mensch und Technik, Hg. Paolo Bavastro, Verlag Urachhaus, Stuttgart 2001, S. 130

(2) Man stelle allen Menschen -grob "Gläubigen" oder "Ungläubigen"- zwei einfache Fragen:

1. Was wollen Sie in einem ewig währenden Leben tun?

2. Wissen Sie, was Ewigkeit bedeutet?

Es ist ja nicht nur so, daß man an das "ewige Leben" in Ansicht oder Ablehnung seiner Möglichkeit nicht nur glauben, sondern, daß man es auch gar nicht wollen kann.

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Foto:2004rdsDas Ungeborene Er Sie Es im Mutterleib, lacht schon jetzt über dein Gefühl, vermeintlich auf der Höhe der Entwicklung und der Zeit zu sein.

Schon ein solches gedacht, macht dich zum Anbeter der Vergangenheit.




Die zwei Arten des Zweifels: Der eine Zweifel führt über den Skeptizismus und den Nihilismus direkt in die Verzweiflung und in den Lebensekel. Dem anderen Zweifel gelingt es, weiter darüber hinaus und bis zum Glauben vorzudringen. Der Anspruch auf die unhintergehbare und absolute Wahrheit, der den Zweifel ursprünglich ausgelöst hat und der nun fortan unabschüttelbar begleitet, wurde - zu Gunsten eines praktizierbaren und annehmbaren Lebens - durch einen versöhnenden Glauben aufgegeben. Dieser versöhnende Glaube ist der Kompromiß zwischen dem unentbehrlichen, aber unerfüllbaren, Anspruch nach absoluter Wahrheit und der Totalität eines jeglichen Sinn und Werte negierenden Nihilismus, eine aussöhnende Möglichkeit, sich im Leben und das Leben zu bewegen und nicht im Stillstand zu vereisen.***

Foto: 2004rdsWir haben die Idee, schaffen uns einen Begriff von Gott und stellen ihn auch noch unter unsere menschlichen Bedingungen, wie er zu sein hat und schreiben ihm seine Geschichte vor. Das kann gar kein Gott sein! Unsere Vorstellungen bleiben menschliche Vorstellungen, unsere Projektionen bleiben menschliche Projektionen. Alle unsere Versuche müssen unvollendet und unvollständig bleiben. Sowohl der Beweis oder der Gegenbeweis von seiner Existenz, als wohl alle existenzausfüllenden Zuschreibungen und Inhalte. Die Wissenschaften allgemein, die Naturwissenschaften, oder sogar noch eine Wissenschaft von Gott, können uns da gar nicht aus der Sackgasse herausführen oder irgendeinen Königsweg aufzeigen. Der Glaube, jenseits von menschlicher Rationalität und Logik, eröffnet einen Zugang, ja er ist wohl die einzige menschliche Möglichkeit, aus der selbsterschaffenen Sackgasse heraus zu kommen. Niemand glaubt gar nicht!***

Die meisten Wissenschaftler haben ihre je fachspezifischen Forschungen und Welterklärungen notwendig professionalisiert und damit einkommens- und existenzrelevant gemacht und ihnen ihren persönlichen Sinngehalt verliehen. Was aber heute noch als gesicherte Erkenntnis gilt, kann morgen schon nur noch ein haltloses Theorem sein. Für Nicht-Wissenschaftler kann aus der Wissenschaft allein heraus kein Sinn entstehen, allenfalls eine hilfreiche, aber revidierbare Gegenwartsbeschreibung, deren historischer Wahrheitsgehalt, "der Zeitkern der Wahrheit", unter Umständen erst nachfolgende Generationen erkennen, verstehen und ausschließlich für sich nutzbar zu machen vermögen. Kurz formuliert: Wissenschaft ist hilfreich und nützlich, aber nicht (allgemein) sinnstiftend. Diese Aufgabe der Religion hat mit ihrer Austreibung aus dem Lebensgefühl und dem Lebenszusammenhang der Menschen ein fast unausfüllbares Vakuum hinterlassen, weil es ein Privileg der Religion bedeutete, gegenüber der sich ständig wandelnden wissenschaftlichen Weltdeutung auf einen, nach ihrem Verständnis, unwandelbaren und festen Grund jenseits aller empirischen Erkenntnisse und Erfahrungen verweisen zu können und zu wollen. Und dieser feste Grund war einst der durch die Religion vermittelte Glaube.***

Eine zumeist unbewußt getroffene (Vor-)Entscheidung bewußt revidieren: Die Wirkung des Zweifels darüber, daß die wahrnehmbare Welt nicht alles sein kann, daß eine Welt außerhalb von uns im Transzendenten, nicht außerkosmischen, existiert oder existieren könnte, entschieden unterdrücken, noch besser, vollständig eliminieren, und alle Vernunft und Sinne auf das richten, was nicht nur zu sein scheint, sondern aufgrund permanenten und wechselweisen Austausches und gegenseitiger, bestätigender Wahrnehmung und Vergewisserung im physischen und psychischen Erfahrungsraum "Welt" von uns Lebewesen Mensch, als ein Tier mit der Fähigkeit zur Transzendenz, gesetzt und gegenwärtig ist.

Unrecht kann nur durch Recht im Hier und Heute gesühnt, bekämpft und als solches benannt und bezeichnet werden und nicht im Transzendenten. Die Hoffnung auf die Gerechtigkeit eines "Jüngsten Gerichts" und das Gott allein gerecht sei, freut aber allenfalls den verneinenden Moral-und Gesetzlosen, wenn der Kampf und der Widerstand der Unterdrückten, Rechtlosen und Geprellten, zugunsten eines in Aussicht gestellten Einzugs in das Reich Gottes und jenseitig erwarteten Ausgleichs, im Diesseits dafür erlahmt und bricht. Wie treffend formulierte schon in Abrede allen Utopischen Thomas More: NO WHERE, NOW HERE! Ungesühntes Unrecht hängt daher untilgbar für alle Zeit nach, egal ob es nur unentdeckt geblieben, oder verleugnet, oder als Verbrechen nicht erkannt worden ist. Der Ausschluß des Transzendenten bedeutet aber auch der Ausschluß jeglichen transzendenten Flucht-und Trostraumes. ***

NICHTS

Foto: 2005rdsDer große physikalisch-kosmische Urknall -oder wenn, wie Kant formuliert, auch Gott sich selbst, im Zweifel um seine letzte Ursache und Herkunft, fragt: Ja, woher bin denn ich? - deutet das alles nur noch auf ein letztes und unhintergehbares ... aus dem NICHTS hin? Das NICHTS, das aber nicht gedacht werden kann, ohne einen Denkenden vorauszusetzen und im Prozeß des Denkens bereits wieder ETWAS wird, sei es zunächst auch inhalts- und begriffslos, leer, aber in der materialen Substanz des denkenden Organs des Denkenden nachweisbar ist. Das NICHTS, das ETWAS ist, eine Potentialität, die über das Physikalische und Kosmische eines Urknalls, und über das Transzendentale eines Begriffes wie Gott hinausgeht. Was war vor dem Sein? Fragte Schelling und antwortete vorerst: ein Seinkönnendes. Ein Seinkönnendes ist (noch) nicht unter den Bedingungen unseres materialen, substanzgebundenen Denkens, das raumzeitliche Vorstellungen produzierbar und konstruierbar werden läßt, aber immerewig potentiell möglich als ein reines Sein.

Was aber löst in der ewig potentiellen Möglichkeit, die im NICHTS eingebettet und umschlossen ist, ihre einzige -oder eine von unbenennbaren vielen- Verwirklichungen aus? Die wir dann, im ganz umfassenden Sinne, Welt nennen? Also was ist die Ursache eines Urknalls, der seiner potentiellen Möglichkeit nach auch ewig nicht sein muß, nie hätte sein müssen? Denn diese Potentialität beinhaltet negativ eben auch, daß auf ewig nichts zu sein braucht, NICHTS ist.

Die Welt, im ganz umfassenden Sinne, als Matrixkonstruktionsleistung unseres Gehirns, als Bewegung von cirka 15 Milliarden Nervenzellen in einem Objekt von durchschnittlich 1400 Gramm, als Bewegung auf molekularer, atomarer Ebene, letztlich auch das Gehirn nur als das Organ einer Selbstsuggestion und Simulation, läßt zuletzt verbindungslose und miteinander zugleich kooperierende Elementarteilchen gelten, als eine potentielle Konstruktion, als das alles nur Seinkönnende.                                                                                               

Plusquamperfekt

Das ganze Leben ist wie eine Droge. Manche kommen nie davon los und wollen ewig leben. Aber: Um was und wessen Willen, wenn ich dann lebenssatt geworden sein werde, würde ich gelebt haben wollen? Tod im Überfluß oder aus Überdruß?

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Grabmonument des schottischen Philosophen David Hume in Edinburgh; Foto: 2006rds"Nichts erscheint wohl auf den ersten Blick unbegrenzter als das Denken des Menschen, das sich nicht nur aller menschlichen Macht und Autorität entzieht, sondern sich nicht einmal in den Grenzen von Natur und Wirklichkeit halten läßt."

David Hume   (1711 - 1776)   schottischer Philosoph   (An Enquiry Concerning Human Understanding)

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DIE ÖSTERREICHISCHE AUTORIN ILSE AICHINGER (Jahrgang 1921), vom rumänischen, 1911 in Siebenbürgen geborenen Schriftsteller E.M. CIORAN stark beeinflußt ("Was tun Sie vom Morgen bis zum Abend? Ich erleide mich."), formulierte ihr Leben einmal so: "Ich empfinde es als Zumutung, geboren worden zu sein. Ich halte die eigene Existenz für eine Zumutung. Ich würde lieber nicht sein. (...) Das möchte ich: schon gewesen sein. (...) Ich möchte keine Spuren hinterlassen."

Das Leben enthält demnach eine doppelte Zumutung: In der Existenz mit sich selbst und in der Existenz mit anderen.

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HEDONIST

Die Natur ist ein Materialverschwender.

Ob er oder sie oder ich, ist ihr völlig egal.

Nur für mich allein zählt: I C H !

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