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Foto: 2004rds

Bugatti  EB  16.4 Veyron   W16 Zyl.  7993 ccm  1001 PS  406 Km/h

[Verkaufspreis: 1.160.000€                                       Quelle: sport auto 4/2006]

*DIE AMERIKANER TRAGEN WAFFEN, DIE DEUTSCHEN FAHREN SIE!*


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"Alle fünf Sekunden - eins, zwei, drei, vier, fünf - verhungert auf dieser Welt ein Kind unter zehn Jahren. Neben den Goldbergen des monopolisierten Kapitalismus verwesen Leichenberge."      Gabriele Gillen

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Faust e.V., Hannover-Linden: Foto: rds2011

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Weht durch Deutschland ein heimlich-leises monarchisches Sehnen? Bricht sich eine noch unerfüllte Hoffnung nach einem politischen Erlöserkind Bahn? Oder zeigt sich jener latent wirksame, unausrottbare Autoritätsglaube, jene Obrigkeitshörigkeit, wenn nicht von Gottes Gnaden, so doch von einer ungesättigten Idolatrie, von der Sucht und Sehnsucht nach einem personifizierbaren Übermenschen getragen, in dem all das willentlich Gute des eigenen Ich sich wiederspiegelt, das aber durch die Übermacht der niedrigen Instinkte unterdrückt und unausgereift bleibt und daher als bleibender Anspruch auf einen Auserkorenen übertragen wird? Oder ist ER das Überraschungsei aus der "demokratischen Wundertüte" der Bundesrepublik Deutschland, telegener Blender oder begnadeter Kompetenzdarsteller?

Was macht Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg so beliebt, hochgejubelt gar zum neuen "Star der deutschen Politik"? Was machte einst den Anarcho-Bohemien Joseph "Joschka" Fischer lange Zeit in der politischen Beliebtheitsskala zum Spitzenreiter? Die politische Leistung oder das biographische Außenseitertum des Einen, bzw. ein Habitus wie von gezwirnter Rohseide mit feudalem Hintergrund des Anderen? Trotz all dieses medialen Feuerwerks um die Person zu Guttenberg herum, ein Günstling unseres veloziferischen Zeitalters [1], ist er den schlüssigen Beweis noch nicht angetreten, mehr ausgebildeter Experte seines Faches zu sein als jene politischen Mittelspurschleicher, die den Dauerstau im gesellschafts-politischen Verkehrsfluß begünstigen. Glamour und Gloria und ein Hauch von adliger Distinktion, ganz besonders im Gewande frischer, sympathischer und unverbrauchter Jugendlichkeit, helfen im politischen Alltagsgeschäft und verschleiern im Fall des Falles fehlende Qualifikation und mangelnde Kompetenz. Aber nach Michael Glos im Amt des Wirtschaftsminister galt wahrscheinlich die Devise: Schlimmer geht's nimmer!

"Shootingstar" und Wahlkampfmagnet Karl-Theodor zu Guttenberg auf einem Wahlkampfplakat der CDU 2009;  Foto: rds2009Nun steht Herr zu Guttenberg allein schon von Haus aus sicher nicht im Verdacht, Anschluß an jene überparteiliche Versorgungskarawane zu suchen, die bei aller Konfrontation und Gegnerschaft stets eint, wenn gewisse Privilegien in Frage gestellt werden. Politiker und Politikerinnen, die eher wissen was ihnen "zusteht" als das was vorbildliches und korrektes Handeln abseits dienstrechtlicher oder vertraglich geregelter Ansprüche bedeuten, karikieren jedes Restverständnis und jede noch verbleibende Sympathie für das politische Geschäft und für das ihrer Akteure. So bagatellenhaft, ja nur als Petitesse die Schmidt'sche Dienstwagenaffäre gelten und erscheinen kann, so exemplarisch wird sie doch als abgebrühter Umgang mit Privilegien wahrgenommen. Es sind ja gerade nicht die großen Dinge, die den Sturm der Entrüstung entfachen und allgegenwärtig machtvoll auf die Straße tragen, sonst müßten etliche Banken längst in Trümmern liegen, und zwar nicht nur symbolisch, sondern real. Und eine ganze Reihe von Marktmachtbesitzern nicht feixend und ungerührt weiterhin Boni kassieren, sondern als Leiche im Landwehrkanal schwimmen, nicht nur symbolisch, sondern real. Aber eher werden im Schrecken des Geschehens die eigene Ohnmacht und das eigene Unvermögen erkannt. In sozialen Nebenräumen können sie dann scheinbar gefahrlos bezähmt und sublimiert werden.

Bezeichnend dazu schrieb Ralf Schröder unter dem Titel: Arbeit, Auto, Armut in konkret (Heft 5/2009): "Der soziale Friede ist in Deutschland auch deshalb so billig zu haben, weil die Aggressionen der Landsleute auf der Autobahn und beim Kampf um einen Parkplatz ausgelebt werden." Welche Circe hat da wohl mit welchem Hintergedanken die Abwrackprämie für über neun Jahre alte Autos in die navigationsgeleitete Welt des deutschen Autofahrers und Steuerzahlers gebracht? Also Bonbons für die Masse, wenn Boni' für die Klasse? Der soziale Einschüchterungsfriede muß unter allen Umständen gewahrt bleiben, und keine Bundestagswahl soll etwas daran ändern.


Vote - or not?  Wählen - oder nicht?

Gehe ich zur Wahl? [2] Wen oder was wähle ich, wenn ich wähle? Oder nicht wähle? Oder in der Wahlkabine stehe, dann aber absichtlich ungültig wähle? Gebe ich meine Stimme einem mir besonders kompetent, glaubwürdig und sympathisch erscheinenden Politiker - oder einer Politikerin? Oder einer Partei insgesamt, die in ihren Aussagen, in ihrer politischen Arbeit und in ihren programmatischen Zielsetzungen meinen eigenen Ansichten besonders nahe kommt und die mir genehm ist? So wähle ich ausschließlich nach dem Programm einer Partei, das zwar von Wahlversprechungen durchdrungen ist, somit nur das gegenwärtige Mittel zur Erreichung einer von einer begrenzten Klientel favorisierten Zukunft sein kann?

Fakt ist: Immer mehr wichtige und weit reichende Entscheidungen über die Bürger und ihre Zukunft werden nicht mehr nur im national gewählten Parlament, im Deutschen Bundestag in Berlin getroffen, sondern in Brüssel. [3] Bestimmungen, die in Brüssel erlassen werden, haben ein ungleich schwereres Gewicht, als alle die gültigen Stimmen zusammen genommen, die die Wähler und Wählerinnen an die Abgeordneten des deutschen Parlaments in einer freien Wahl vergeben können. Sind diese Stimmen daher nur zweitrangig geworden? Wenn auch längst noch nicht alle, so haben aber nichtsdestoweniger viele von den im Deutschen Bundestag gefaßten Beschlüssen, Normierungen, Verordnungen und auf den Weg gebrachten Gesetzen einen eingeschränkten Wirkungsrahmen. Und was nicht von Brüssel modifiziert oder überformt wird, steht unter Umständen im Gegensatz und im Konflikt mit einer international, überstaatlich agierenden Finanzökonomie, die sich wenig um nationale Gesetze schert, sofern sie denn bestehen, und die sich aller Beschränkungen und Zähmungsversuche erfolgreich zu widersetzen scheint. Das gegenwärtige Krisenszenarium macht das allen deutlich klar. Die Politik hat die Entstehung dieses Szenariums - und das ist das Kainsmal - selbst mit begünstigt.

Eine erkleckliche Anzahl von Managern und Vorstandsvorsitzenden hat mehr Macht und mehr Möglichkeiten, den Lauf der Dinge, die uns alle betreffen, zu manipulieren und zu kontrollieren, als unsere gewählten Volksvertreter und Regierungsmitglieder, Staatssekretäre und Minister, wären sie denn durch weit reichende Interventionsvollmachten legitimiert, dies zu verhindern Willens und fähig sind. Also welchen Wert hat meine Wählerstimme, wenn diese nur noch über die Zusammensetzung einer Mannschaft entscheidet - den Abgeordneten des Deutschen Bundestages - die in der zweiten oder dritten Liga spielt? Sind das maßlose Übertreibungen, unbelegbare Behauptungen? Gar unflätige Unterstellungen?

Die Funktionstüchtigkeit der parlamentarischen Demokratie hängt ja nicht nur von ihrer tätigen Bejahung und der gelebten Unterstützung durch ihre Bürger als Wähler und ihrer quasi staatsbürgerlichen Verpflichtung ab, sich dann auch an der Wahl zu beteiligen, sondern auch davon, was ein gewähltes Parlament, eine gewählte Regierung überhaupt noch zu bewirken fähig ist, wenn außerhalb ihres legitimierten und legalisierten Macht- und Regierungsanspruchs sowie ihres Gewaltmonopols, übergeordnete oder gegenerische Kräfte ihr Handeln absorbieren und konterkarieren? Es stellt sich also die Frage: Was vermag Politik in diesen Zeiten zu leisten und was sind noch realistische Erwartungen an sie?

Beginnt sich da ein gefühlter Legitimationsverfall einzunisten? Ist das mehr als die übliche Litanei über die Parteien- und Politikerverdrossenheit? Demokratieverdruß? [4] Oder Frust über deren Verdinglichung durch ein gleichsam einflußreiches wie undurchschaubares Kartell aus sich selbst reproduzierenden, aller parlamentarischer Kontrolle entrückter Machteliten?

Über empfundene Verluste oder über vermeintliche oder tatsächliche Verschwörungskonstellationen zu lamentieren, hilft gar nicht weiter. Die Zeit der politischen Narrenschau - der Wahlkampf - ist eröffnet. Ist er? Die Grundrechte, die viele Bürger wohl "nicht mehr als schützenswertes Allgemeingut, sondern als eine Sammlung von Privatansprüchen auf persönliche Bedürfnisbefriedigung mißverstehen" und die "ihrer Konzeption nach keineswegs Gutscheine auf persönliche Fürsorge, sondern ein Abwehrschirm gegen staatliche Eingriffe sind" [5], enthalten auch unser beileibe als nicht gering zu erachtendes Wahlrecht.

Die Aufgabe eines jeden politisch denkenden Bürgers kann es daher nur sein, seine oberste Souveränität gegenüber allen anderen wirkenden Kräften durchzusetzen, zu verteidigen und vor aller Welt zu beweisen. Das einzig dazu legitime Mittel ist die Wahl.

rds



ANMERKUNGEN:

[1] "veloziferisch": ein Kunstwort von Goethe; velocitas = Eile und Lucifer = Gott der Illusionen, Teufel; somit eine Zeit, in der es keine Geduld und kein Abwarten mehr gibt, die blendet und voller falscher Illusionen steckt. 

[2] Diese Frage stellt sich auch Gabor Steingart in seinem Buch: Die Machtfrage - Ansichten eines Nichtwählers, Piper Verlag, München 2009

Dazu: Wolfgang Merkel, Der Parteienverächter - Wider den publizistischen Stammtisch, in: WZB Mitteilungen 124, Juni 2009, S. 13-16

[3] Diese Tatsache verhilft immer wieder im Sinne des Abwiegelns zu dem wunderbaren Verweis, schließlich "müsse man Vorgaben aus Brüssel erfüllen"!

[4] "Wenn die Deutschen die Demokratie nochmals aufgeben sollten, dann nicht aus Gründen der Überhitzung, sondern aus Gründen der Unterkühlung. In Weimar ist die Demokratie verglüht. Das nächste Mal könnte sie erfrieren." Steingart, S.168/169

[5] Ilija Trojanow, Juli ZehANGRIFF AUF DIE FREIHEIT - Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte, Carl Hanser Verlag, München 2009, S.29

In jedem Kapitel des Gemeinschaftswerks der beiden Autoren ist das Bemühen, aufzuklären, wachzurütteln, für das Thema Datenschutz und bürgerliche Rechte und Freiheit zu sensibilisieren, nachhaltig spürbar. Und das Unverständnis, bis hin zum Entsetzen, über den laxen und fahrlässigen Umgang eines Großteils der Bevölkerung mit der Pflege, der Wertschätzung und der Bewahrung ihrer bürgerlichen Rechte dringt in allen Kapiteln durch.

Die Kunstfigur Achim Angepaßt, "ein geübter Selbstbetrüger, dem es ausschließlich um ein bequemes Leben und den persönliches Vorteil geht", wird dafür zum Synonym gemacht, die übersieht aber bei aller eingebildeter Schläue, "daß der Kapitalismus kein karitatives System ist." Achim Angepaßt ist ein Mitglied jener Gesellschaft, der nicht nur das Gefühl für die eigene, absolut notwendige Privatsphäre, die eine grundsätzliche Voraussetzung für individuelle Freiheit ist, verloren gegangen sein muß, sondern auch jene gesellschaftliche Übereinkunft über einige rechtlich unveränderbare Grundnormen, z. B. dem Folterverbot, abhanden gekommen ist. Die Autoren fällen ein hartes, aber in der zusammenfassenden Bewertung rechtspolitischer Konstruktionen und deren Reaktionen darauf das zutreffende Urteil: "Ein Teil der Werte, zu deren Verteidigung wir ständig aufgerufen werden, ist bereits verloren gegangen. Ein Teil der Gesellschaft hat sich schon in Richtung Barbarei bewegt."[S.110]

Das sind keine guten Voraussetzungen beim Kampf um die neue Ressource des 21. Jahrhunderts: Informationen. Sie sind die neue Währung des Kommunikationszeitalters. Dabei ist deren Janusgesicht auffällig. Es geht um nichts weniger als die Herabwürdigung zum reinen "Politik-und Informationskonsumenten, (...) den man an der Leine seiner persönlichen Bedürfnisse spazieren führt", und um den Kontrollverlust des Staates über seine Bürger, dem durch subtilste, subkutane Überwachungstechniken entgegen gesteuert werden soll. Diese sollen aus allen Winkeln, Ritzen und Ecken des öffentlichen und privaten Lebens der Bürger die zuverlässigen Informationen liefern, mit denen schließlich sein Verhalten vorhersagbar und damit steuerbar werden kann. Ein freies Internet, "Netzwerke" und die schwer einschätzbar gewordenen Lebensentwürfe der Menschen, eine Folge der Individualisierung, können auch einen demokratischen Staat beunruhigen und werden "in der Rhetorik der politischen Elite als "Sicherheitsproblem" identifiziert."

Ach was! Wir leben noch immer in einem demokratischen Rechtsstaat! Es geht alles mit rechten Dingen zu! So würde wohl Achim Angepaßt antworten. Und er würde wohl auch nicht begreifen, "daß 'Daten' nichts Technisch-Abstraktes sind. Der Mensch, der nicht nur ein körperliches, sondern auch ein geistiges Wesen ist, setzt sich aus Daten zusammen. Wir sind aus Zellen wie auch aus Informationen gemacht.[S.130]

Wer nicht Achim Angepaßt heißt und in der sogenannten "Fachliteratur" im Umfeld von Datenschutz und Bürgerrechten belesen und involviert, oder selbst aktiv ist, erfährt im wesentlichen durch die Lektüre nichts neues, sondern arbeitet sich durch eine Auswahl bekannter politischer Themen und ihrer sezierenden Bewertung durch die Autoren, der man durchaus beipflichten kann, Kapitel für Kapitel hindurch. Das geht von Otto Depenheuer's Horrorschrift Selbstbehauptung des Rechtsstaates mit seinem stilisierten "Bürgeropfer", bis zu Angela Merkel's geistigen Offenbarungsfauxpax:" Eigentlich läuft alles ganz prima, aber trotzdem brauchen wir mehr Überwachung."

Auch stehen die beiden Autoren, wie es ungewollt als suggestiv empfunden werden kann, nicht als einsame Mahner allein auf weiter Flur, die in einer eigenen Initiative bis vor das Bundesverfassungsgericht zu gehen bereit sind. (Juli Zeh klagt gegen den biometrische Daten enthaltenden E-Paß). Entgegen der Lethargie eines großen Teiles der Bevölkerung, konstituiert sich doch ein breites Bündnis gegen den Überwachungswahn des Staates und den schleichenden Abbau der Bürgerrechte, sowie gegen die wilde Datenfischerei durch die Wirtschaft. Kleinere lokale Aktionen und Proteste finden überall vor Ort statt, und erinnert sei auch an die Großdemonstrationen unter dem Motto FREIHEIT STATT ANGST im Jahr 2007 und 2008 mit zehntausenden von Teilnehmern in Berlin. Auch in diesem Jahr, am 12. September, ist dazu aufgerufen. Kommen Sie, Frau Zeh, und Herr Trojanow, oder sind Sie auf Leserreise?

Mit heißem Herzen, ehrlicher Betroffenheit und engagiert gebündelt dargestellt, richtet sich das Buch vordringlich an eine Leserschaft, die noch nicht völlig für die Bewahrung und die Werte einer freiheitlichen Verfassung verloren scheint, sondern im Zwischenreich von Engagement, Widerstand und unkritischer Angepaßtheit schwebt und eines wohlmeinenden Anstoßes bedarf, denn nichts ist so zutreffend wie das vorweggenommene Fazit der beiden Autoren Ilija Trojanow und Juli Zeh:"Das Erreichte stellt keine Konstante dar; das einmal Errungene kann schnell wieder verschwinden. Freiheit ist ein Wert, der von jeder Generation, von jedem Einzelnen neu erkämpft und verteidigt werden muß. Auch von uns."[S.16] 

Dem ist nichts hinzuzufügen.

rds


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"Unser Staat scheint noch gerechter als er ist."[1]


Deutschland macht Angst.

Berlin; rds2008Das ist normal und nicht ungewöhnlich in Krisenzeiten. Wer sie nicht empfindet, wenigstens von Zeit zu Zeit, dem fehlt vielleicht "die Fähigkeit zur angemessenen Angst" (Günther Anders), ist sie doch eine (über-)lebensnotwendige Empfindung. Tragisch hingegen wäre es, der sich ins eigene Ich zurückziehenden, dialog-und handlungsunfähigen, lähmenden und mehr indifferenten Furcht unterworfen zu sein. Angst in ihrer konkreten Form sucht noch nach Nähe, bleibt gesellig, sprachbereit. Furcht hingegen flieht vor allem, schnürt ein und erstickt jede Regung, vereinsamt.

Verlustängste schmerzen ganz besonders. Da ist zum Beispiel der eklatante Vertrauensverlust in die allgemeine Redlichkeit der führenden gesellschaftlichen Gruppen und ihr fahrlässiges Abrutschen in die Verantwortungslosigkeit gegenüber den künftigen Generationen. Nicht minder schwer wirkt der totale Verlust der Glaubwürdigkeit. Eine Gesellschaft, deren Elite mit solchen Mängeln behaftet ist, wird in einer akuten Krise über kurz oder lang kollabieren; Redlichkeit, Verantwortung, Glaubwürdigkeit perdu.

Richtet man den Focus auf die "Finanzdienstleister" in den Vereinigten Staaten , kann von einer kollektiven moralischen Verwahrlosung gesprochen werden, wenn mehr als 18 Mrd. US-Dollar aus dem Steueraufkommen aller amerikanischen Bürger dem Stabilisierungspaket entnommen und als "Bonauszahlungen" per eigenem Gutdünken untereinander verteilt werden. Der Begriff "Wendehals", politisch besetzt aus der deutschen Umbruchzeit 1989/90, bekommt einen völlig neuen Aspekt mit Blick auf die schmierige Biegsamkeit ehemals radikaler, freier Marktwirtschaftler in der Bundesrepublik. Zur Radikalität fehlt ihnen dann doch der sprichwörtliche Mut, müßte doch die Standhaftigkeit ihrer bisherigen Position aus Omnipotenzanmaßung und absolut asozialem Individualismus aus eigener Substanz heraus getragen werden.

Hier in dieser Bundesrepublik, zu dieser Zeit, anvanciert Frau Merkel, wenn zunächst auch nur bürgschaftlich, gerade zur spendablen Geldbriefträgerin des peststinkenden Neoliberalismus dieser Leute, wobei sie gleichzeitig in brachialer Deutlichkeit den gesellschaftlichen, sozialen Ungleichzustand als dauerhaft erwünscht markiert. Sehr treffend hat es Stefan Kirschsieper, Bundesvorsitzender der Wirtschaftsjunioren Deutschlands, formuliert: "Für ein Kind gibt es 100 Euro, für ein altes Auto 2500. Das zeigt wie zukunftsorientiert und sozial in unserem Land gedacht wird."[2] Dabei kann doch die Hoffnung des gegenwärtigen und jedes nachfolgenden Finanzministers nur sein, daß sich die Krippen, Horte und Kindergärten heute, morgen und zukünftig mit lauter süßen, kleinen "StaatsschuldentilgerInnen" kräftig anfüllen.

Im Ton noch härter, aber nicht minder tatsachengerecht, wird es von HartzIV-Empfängern und deren Fürsprechern ausgedrückt: "Seit Einführung von HartzIV gibt es mit den "Ein-Euro"Jobs wieder Zwangsarbeit in Deutschland. Das ist ja für die Deutschen nichts neues. (...) Wir leben in einer Gesellschaft, die sich Arbeitslose hält. Ihr Daseinszweck beschränkt sich allein darauf, Objekt einer Institution zu sein, deren Hauptaufgabe es ist, abzuschrecken, zu erniedrigen und zu verunglimpfen."[3] Unverständlich ist, wie Frau Merkel mit einem immer höheren Sympathiebonus belohnt werden und sich bislang wie die Henne in der Lore fühlen kann, während ihre Partei, die CDU, dafür bei Meinungsumfragen in der Wählergunst abgestraft wird. Ein Anflug von simplem Spaltungsirresein?  

Frau Merkel ist nicht allein. Sie ist die Mannschaftsführerin der Großen Koalition, das Leittier in diesem "Problem-Zoo". In der Großen Koalition "wirkt" die SPD mit, die in den Karzer gehört, damit sie wieder zur Besinnung kommt. Vieles vom dem, was sie als "Juniorpartner" mitträgt, hat sie in der Küche von RotGrün als verantwortlicher Chefkoch einst vorgekocht und angerichtet. Es deutet einiges auf ein Ende ihrer Mitregentschaft nach der Bundestagswahl in diesem Jahr hin, nicht nur der Zuspruch und der atemberaubende Schwenk hin zu Guido Westerwelles FDP nach der hessisches Landtagswahl. Wessen Fürsprecher diese Partei ist und fernerhin sein wird, bleibt keine schwer zu lösende Rätselaufgabe.

Einige der "letzten Aufrechten" in dieser Partei, namentlich Gerhard Baum, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Burkhard Hirsch, stehen für die konsequente Umsetzung und Verteidigung der Bürgerrechte und gegen einen "Schnüffel-und Überwachungsstaat", wie er sich derzeit Schritt für Schritt etabliert und metastasenartig ausbreitet. Es wird umgedreht, was Konsens sein müßte: das der Rechtsstaat sich auf Vertrauen gründet und nicht auf Überwachung. 

Berlin; 2007rdsAber nicht nur der Staat - auch in der "freien" Wirtschaft, von LIDL, über die TELEKOM bis jüngst zur DEUTSCHEN BAHN, haben der mißbräuchliche und willkürliche Umgang mit Personendaten und unanständige Spitzeleien ein freies Spiel- und Betätigungsfeld erhalten. Dabei schlägt die Deutsche Bahn zurzeit allerdings alle Rekorde.

Ob die profanen Theologen eines ungebremst freien Marktes eines nahen oder fernen Tages wieder stolz erhobenen Hauptes zurück ins lichte Spielfeld kommen werden -wobei unzutreffenderweise ein vorhandenes Schamgefühl unterstellt wird - hängt auch sehr viel vom Ausgang der Bundestagswahl [4] am 27. September dieses Jahres ab. Die Gefahr, daß sie entgegen den jüngst gemachten, bitteren Erfahrungen wieder die Spielregeln, offen oder heimlich, bestimmen werden, ist latent vorhanden. So wird, um, angelehnt an T.S. Eliot, zu unken, die Große Koalition enden - nicht mit einem Knall, sondern mit Gewinsel. Der 16. Deutsche Bundestag, die zweite "Große Koalition" mit beidem.

rds


ANMERKUNGEN:

[1] "Die meisten werden den Staat bald als ungerecht durchschauen und sich entsprechend benehmen. Ein Zweiklassenstaat fördert die moralisch niedrigsten Verhaltensweisen in seiner Bevölkerung und hat gleichzeitig nicht die moralische Autorität sich darüber zu erheben."  Karl Lauterbach, in: Neue Gesellschaft - Frankfurter Hefte, 9, 2008, S. 36

[2] Zitat in: Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 17./18.01.2009, S. 2

[3] Helmut Gispert, in: m o t z, berliner straßenmagazin vom 16.01.2009, S. 17

[4] Mit dem "Volkswillen" ist das so wie mit dem "freien Willen"- es gibt ihn ja nicht wirklich. Wir bilden uns nur ein, wir würden frei handeln, ebenso ist es mit dem Volk- es bildet sich nur ein, es hätte etwas zu sagen und zu entscheiden, etwa bei Wahlen. Der Volkswille ist nur ein Mythos, wie gleichfalls "wahrhaftige Politiker" ins Mythenreich gehören. "Wo ein Politiker auftritt, tritt ganz eigentlich ein Totengräber des Staates auf," formulierte schon Thomas Bernhard 1976. Siehe auch: Thomas Wieczorek, Die verblödete Republik, Wie uns Medien, Wirtschaft und Politik für dumm verkaufen, Knauer Tb., München 2009


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Ach Gesine!


Einige Leute vetreten in ihrer veröffentlichten Meinung die Ansicht, Horst Köhler wäre der beliebteste Bundespräsident, den das Land überhaupt jemals hatte und sollte unter allen Umständen weitere fünf Jahre das Amt inne behalten.

Der 1. Bundespräsident Theodor Heuss (1949-1959); Foto: bpaSchon "Papa Heuss" vergessen, den "Bürgerpräsidenten" Gustav W. Heinemann in seiner ästhetisierten Karg- und Schlichtheit, oder unseren "Hoch-auf-dem-gelben-Wagen-Präsidenten", den agilen Walter Scheel? Auch wäre an den einst "Regierenden Ritchie" und "Häuptling Silberlocke", wie der 1989 verstorbene, unersetzliche und scharfzüngige Kabarettist Wolfgang Neuss den späteren Bundespräsidenten und vormaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin (West), Richard von Weizsäcker, titulierte hatte, zu erinnern. Beliebtheitsgrade von Präsidenten sind immer relativ und stark in ihrer Zeit verhaftet und jeder propagiert seinen Favoriten.

Was geht da vor in den Köpfen der Politikmatadoren und was passiert bei ihren ansonsten geräuschloser stattfindenden Alltagskämpfen vor und hinter den Kulissen der Politik? In einer Frage, in der das wahlberechtigte Volk völlig außen vor ist, erhitzen sich die Gemüter in den Parteizentralen bis nahe an den Siedepunkt.

Ach Gesine, keine ist so wie diese,                                                                    

deine Kraft und deine Leidenschaft

treibt die SPD mit letzter Kraft,

macht sie ganz perplex

und wirft sie aus dem Text.

Doch mit deinem Sturm und deiner Glut,

fasst sie nun neuen Mut?

Ein quantitativ bemessen kleiner Zirkel Hochgestellter kreist mal wieder balancierend, sich mißtrauisch beäugend und gegenseitig blockierend um sich selbst und desavouiert die Wahl des Bundespräsidenten - oder einer Präsidentin, setzt man die Kandidatur von Gesine Schwan als gegeben voraus - im nächsten Jahr im Mai als Positionskämpfe im Hinblick auf die im selben Jahr 2009 stattfindende Bundestagswahl. Ob Rückhalt im Volk, große Beliebtheit oder argwöhnische Betrachtung des jeweiligen Amtsträgers hin oder her, das Amt selbst ist zum Fehdehandschuh unter den Parteien degradiert und vorzeitig, sowie leichtfertig in den Kampfring um die neu zu verteilende Macht geworfen worden.

Übrigens: Im kommenden Jahr feiert die Bundesrepublik Deutschland ihren 60. Geburtstag! Nicht unerheblich, in und unter welchen präsidialen Parteifarben die jubilaren Feierlichkeiten stattfinden werden und wie dicht sie am Termin zur Wahl des neuen Deutschen Bundestages in seiner 17. Wahlperiode liegen werden.

rds






"Für die Massen muß man entweder ein Gott sein oder man ist nichts."

Gustav Le Bon, der französische Arzt und Soziologe, schrieb diesen Satz in seinem grundlegenden und immer noch zitierfähigen, wenn auch teilweise überholten Klassiker von 1895 "Psychologie der Massen". Die deutsche Übersetzung erschien in der Erstauflage eine Reihe von Jahren später, 1908. 

Für das deutsche WM-Wunder-Sommerjahr 2006 gilt daher: ein Fußball-Gott, präziser elf Götter oder die GÖTTER-ELF sein.

Zu erleben sind derzeit hautnah in einer sich selbst verstärkenden Dynamik Lehrstunden der (Massen-)Verführung. Aus dem "Dämmerschlaf des Konformismus" (Wolfgang Sofsky) aufgeschreckt, köchelt die Volksseele bier-und verbrüderungsselig und süchtig in immer höhere Temperatur- und Temperamentgrade auf den bundesweit verstreuten Fan-Meilen hoch. Erleben wir gerade die Geburtsstunde des selbstbewußten, aber durch und durch liebenswürdigen Deutschen? Ist er dann womöglich ein FIFA-Produkt und wird fortan als eingetragenes und geschütztes Warenzeichen von diesem aufgeblasenen Weltverband gewinnbringend vermarktet werden?

Über das Geschäft mit Marken und Emotionen geht der Sinn, in einer weltweit begeistert betriebenen und geliebten Mannschaftssportart seinen Weltmeister zu ermitteln, dauerhaft verloren. Naiv, wer glaubt, es könnte je wieder anders werden. Der "reine Sport" ist -ganz allgemein- in der Defensive. Um Weltmeister zu werden und zu sein, genügen spielerisches Können und sportlicher Ehrgeiz längst nicht mehr.

Foto: 2006rdsDiese WM ist ein strategiegesättigter, weltwirtschaftlicher Feldzug nach Plan. Und eine Clique von Maximalprofiteuren bedient sich dabei unter der Prämisse eines friedlichen und freien (Sport-)Wettbewerbs der hastenden und jagenden, vom frenetischen Publikum befeuerten und vergötterten Spielergladiatoren, die selbst vielmehr als knallhart kalkulierende und börsenwert bewußte Freiberufler zu sehen sind und als geldwert taxierte Stars auch so be- und gehandelt werden.

Im Sog der uneinkalkulierten Begeisterung lassen sich die Blicke und Gedanken ablenken und zumindest kurzfristig wegführen von dem allgegenwärtigen Desaster des Alltagsleben und den permanenten Haushaltsproblemen, von dem Bellen und Heulen und Keifen im Rudel der politischen Führungsschicht in Berlin, genannt: die "Große Koalition".

Sportliche Mega-Veranstaltungen werden nicht mehr nur allein ihres scheinbar unpolitischen Inhalts wegen und ihres Sport-Spiel-Spaß-Spannungs-Charakters unter hohem Aufwand und anbiederischen bis illegitimen Zugeständnissen gern ins Land geholt, sondern gewinnen mehr und mehr eine zweckrationale, ökonomische und gesellschaftspolitische Entlastungsfunktion zu Gunsten der bestehenden Herrschaftsverhältnisse. Der Effekt von "Brot und Spiele" ist seit der Antike bekannt und weidlich genutzt worden. Sie haben auch im 21. Jahrhundert in ihrer zeitgemäßen, multimedialen und globalen Form gebracht nichts von ihrer Wirkungskraft als Beruhigungsdroge verloren. Wie kommt es, daß in diesem Zeitalter, geographisch, volks- und landestypisch unterschiedlich, so überhaupt keine Spur mehr eines tatsächlich revolutionären Geistes auffindbar ist? Hat er sich, trotz aller Verwerfungen im Kapitalismus Pur matt und müde konsumiert? 

rds

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DATEN - DEALER

Widersprüchliche Meldungen durchziehen zur Zeit die deutschsprachigen Medien, bleiben aber in ihrem Kern in einem Höchstmaß beunruhigend. Sie beziehen sich auf das im Bundesministerium des Inneren angeblich zur Gegenfinanzierung der im Jahre 2008 beginnenden Ausgabe der mit biometrischen Daten ausgestatteten Personalausweise unter Umständen realisierbaren Möglichkeit, die erfaßten biometrischen Daten der Bürger (Fingerabdruck, Gesichtsbild, Iris-Scan, etc.) zur Bearbeitung, Aufbereitung und dann interessengestützter Auswertung an die Wirtschaft weiter zu geben, bzw. zu verkaufen.

Ich empfinde das, selbst nur im Theoretischen angedacht, als eine Zumutung und Ungeheuerlichkeit! Ohne gleich den Teufel an die Wand malen zu wollen, stellt es doch eine eklatante Verletzung des Vertrauens im Verhältnis des Bürgers zu seinem Staat dar, und den Vorgang kennzeichnet eine bedenkliche Vermischung von staatlich hoheitlichen Prozessen mit den Interessen der Wirtschaft, mögen sie nun als national/ international agierende Banken, Versicherungskonzerne, Gesundheitsorganisationen oder sonstiger Unternehmen namhaft sein.

Wirtschaftsförderung ist eine Sache. Eine ganz andere ist, den Wirtschaftsunternehmen den Weg zum Prokurator des Staates zu eröffnen und zu ebnen. Mit den im hochsensiblen Bereich Bürgerdaten im Bundesministerium des Inneren kursierenden "Denkmodellen" und Gedankenspielerein wird dem stramm Vorschub geleistet. Bundeskanzlerin Angela Merkel wendete assoziativ einen zur Metapher gewordenen Satz von Willy Brandt um in: Mehr Freiheit wagen. Der sollte keine doppelzüngige Konnotation erfahren, in der Freiheit nur als Zuwachs von mehr Selbstverantwortung und eigener Vorsorge der Bürger in vielen Bereichen propagiert wird (z.B. Gesundheit, Rente, Arbeit, Bildung und Ausbildung, etc.), ihn andererseits aber zum Objekt gezielter und kulminierender Überwachungsmaßnahmen und Datenerfassungen machen.

Überwachungskamera; Foto.2005rdsIn meiner eigenen Vorsorge muß ich einbezogen wissen und die Gewißheit haben, daß mit allen gegenwärtigen und zukünftigen technischen Mitteln die von mir freiwillig oder im Zwangsvollzug erhobenen Daten vor Mißbrauch oder der Nutzung in einem einseitigen Fremdinteresse zu meinem Nachteil geschützt bleiben, denn schon heute sind die technischen Möglichkeiten ein Subjekt zu "sezieren" wahnwitzig und albtraumhaft. Dies ist nicht nur die Aufgabe der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, sondern vordringlich die des Gesetzgebers. Der jedoch scheint gerade im Begriff zu stehen, sich im digitalen Überwachungsstaat in den größten Daten-Dealer zu verwandeln. Am Ende dieser Entwicklung darf nicht der Satz von Friedrich Dürrenmatt stehen: "..andererseits mußte die Freiheit, die nicht mehr möglich war, wenigstens verteidigt werden."

rds


THEMENLINKS:

"Bundesregierung will Datensätze aller BürgerInnen verkaufen?"

netzpolitik.org vom 01.02.2006

"Gesellschaft für Informatik lehnt Verkauf von Personalausweisdaten durch Regierung ab"

"Schaar gegen zentrale Einsicht in biometrische Daten"

Interview im Deutschlandfunk mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar vom 25.04.2006

"Jede Überwachungs-Befugnis stellt eine Einschränkung von Grundrechten dar"

Von Nils Boing in TECHNOLOGY REVIEW vom 26.04.2006

"Wir sind wirklich schon in einem Überwachungsstaat. (...) Wir sind weit über Orwell hinaus."

Gerhart Baum, Bundesminister des Innern von 1978 bis 1982

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DAS PARANOIAMOSAIK

oder Wer Daten hat, hat Macht


... und zeichnet Steinchen für Steinchen ein Bild von dem Bürger als bewegungsunfähigen, festgepflöckten Gulliver auf dem Opferaltar der Datenkrake. Alles nur paranoide Hirngespinste übersensibler Bürger, die wohl etwas zu verbergen haben! Gilt nicht noch das alte Protego ergo Obligo - Schutz gegen Verpflichtung? Der Staat und seine Organe schützen mich, verpflichten mich aber auch dazu, alle die von ihm zur Durchführung, Sicherstellung und Gewährleistung dieses Schutzes als erforderlich angesehenen Maßnahmen, sofern sie rechtsstaatlich und verfassungsgemäß sind, zu erdulden und zuzustimmen. 

Die umfassende Videoüberwachung im öffentlichen Raum, auf Straßen und Plätzen, in Bahnhöfen und auf den Flughäfen, mit Schnittstellen zu den privaten/öffentlichen Räumen: Kaufhäusern und Supermärkten, Einzelhandelsgeschäften und Einkaufscentern, in Fußballstadien und bei Großveranstaltungen wie Freiluftkonzerten, jeglicher Art von Sportveranstaltungen, bei Demonstrationen usw.

Die vollautomatische, anlaß-und verdachtsunabhängige Dauerkontrolle und elektronische Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen. Nach der Verabschiedung des neuen Polizeigesetzes im Wiesbadener Landtag, ist dies jetzt in Hessen (und vielleicht bald bundesweit?) möglich.

Im Zusammenhang damit die PKW-Maut (?) und das mögliche Erfassen von Fahrzeiten und Ortszielen und Erstellen von Bewegungsmustern.

RFID (Radio Frequency Identification). Funkminichips in Personaldokumenten und Kundenkarten, Geldscheinen, auf und in jeder Ware und Verpackungen, z.B. auch in Schuhen und sonstigen Bekleidungstücken.

Die neue Gesundheitskarte mit integriertem Speicherchip. Sie erlaubt den Zugriff -vorgesehen ist nur auf freiwilliger Basis - auf relevante medizinische Daten und Merkmale, Krankheitsdiagnosen, Medikationen usw., was mit Kosteneinsparungen (Doppeluntersuchungen) und Zugewinn von Sicherheit (Notfälle) für den Patienten begründet wird.

Reisepaß und Personalausweis mit digital gespeicherten biometrischen Daten, Fingerabdruck, deren eminent hohe Herstellungskosten auf den Bürger abgewälzt werden sollen.

Bei polizeilichen, erkennungsdienstlichen Ermittlungen, also auch nur im reinen Verdachtsfall, das Erstellen und Speichern des sogenannten "genetischen Fingerabdrucks" -DNA-Analyse- und das womöglich gleich bei jeden erwischten Hühnerdieb!

Die Aushöhlung und faktische Abschaffung des Bankgeheimnisses durch jederzeit mögliche, umfassende Kontostandsabfragen.

Eine personale Steuernummer, die ein jeder Bürger lebenslang behält.

Darüber hinaus ist längerfristig eine einheitliche europäische Führerscheinkarte vorgesehen. Natürlich mit Speicherchip.

Nur eine hauchdünne, interpretierbare Linie trennt zwischen Schutz und Überwachung, Nutzen und Schaden, Datenmacht und verletztes, verletzbares informationelles Selbstbestimmungsrecht des Bürgers. Schutz - schützen, gegen was? Wer, wen? Ein nur vermeintlicher, vorgeschobener Schutz auf der einen, eine nur hysterisch eingebildete, wahnhafte Überwachungsangst auf der anderen Seite?

Das Aufgezählte stellt keine vollständige Liste dar, es sind dies nur Stichworte, aber sie beinhalten technisch real durchführbare Möglichkeiten und Optionen, die nur eines politischen, konsequent durchgesetzen, Willens bedürfen, um aus zunächst abstrakten Möglichkeiten, unverrückbare Tatsachen zu machen. An der Zementierung dieser Tatsachen werkeln zur Zeit in einer parteiübergreifenden Allianz viele Interessenvertreter.

Mich verwundert der publizistisch hohe Reflexionsgrad, die z.B. in den Medien widergespiegelten Argumente des Pro und Contra in dem heiß diskutierten Thema über die DNA-Analyse, und das dagegen sich in der Bevölkerung gering herausbildende Abwehr- und Verweigerungspotential gegenüber einer die Bürgerrechte gefährdenden Handhabung all dieser technischen Überwachungs-und Kontrollmöglichkeiten. 

Dies nicht nur auf der Ebene des Staatsbürgers und seiner Rechte, sondern auch als wirtschaftender Mensch, also als Kunde und Verbraucher im Marktgeschehen. Zusammengenommen regt sich allenfalls nur ein Lüftchen, im Gegensatz zu dem Sturm, den vor gut rund zwanzig Jahren die "Volkszählung" einmal übergreifend entfacht hatte.

Zeugt dies heute von einem festen Vertrauen in die Beständigkeit und die Verläßlichkeit unserer (Parteien-)Demokratie, in die redlichen und vertrauenswürdigen Absichten der agierenden Politiker, oder aber eher von den Abnutzungserscheinungen und der Müdigkeit der Bürger, von der Bindung von Aufmerksamkeit an triviale, aber Substanz abschöpfende Ersatzschauplätze?

Bedenken gegen einen "schleichenden Überwachungsstaat" können leicht, wenn sie nicht massenhaft artikuliert werden, marginalisiert, als "spinnert" etikettiert und als nicht Ernst zu nehmen aus der Diskussion verbannt werden.

Bürger: Objekt einer Information-niemals Subjekt einer Kommunikation? Foto:2004rdsDie Herstellung von Zusammenhang, nicht die, wenn auch notwendig, ausgiebige Betrachtung einzelner Mosaiksteine aus dem Baukasten altherkömmlicher und neuer Techniken der Daten- und Informationsgewinnung und deren Übermittlung, schafft zunehmende Beurteilungskraft und schärft die Gefahrenwitterung dafür, ob die Bürger zum reinen "Objekt einer Information - niemals Subjekt in einer Kommunikation" (Michel Foucault, Überwachen und Strafen, Frankfurt/M. 1977/1998) degradiert werden sollen.

Überhaupt: Bürgermündigkeit, Demokratie, Herrschaft des Volkes, degenerierte Begriffe voller Schwulst und herem Pathos. "In unserem Staat wird seit langem die Entmündigung der Bürger betrieben", schreibt der stets präsente Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel in seiner neuesten Buchveröffentlichung (Die Kraft des Neubeginns, München 2004). "Da das Volk nun einmal aus Verfassungsgründen die Macht an die Parteien abgegeben hat, sehen diese gar nicht mehr ein, warum sie irgendeine Entscheidung aus der Hand geben sollen. (...) Ich sagte, dass in keiner anderen Demokratie die Bürger so wenig zu sagen haben wie bei uns."

Mit anderen Worten: Der Bürgerwille, Volkes Wille, eigentlich unbeliebt, außer zu Wahlzeiten, soll sich schon mal in der Bedeutungslosigkeit einrichten.

Jedem Einzelnen bleibt es letztlich in einer Entscheidung seines freien Willens vorbehalten -Herr Roth, Herr Singer, was sagen Sie dazu?-  einer gesetzlich  geregelten (Stichwort: DNA-Identitätsfeststellungsgesetz) und nicht in Grauzonen lavierenden Aufforderung, sich einem Speicheltest zu unterziehen, biometrische Daten und Fingerprints erstellen, oder sich vom Scheitel bis zur Sohle in eine 0-1-0-Folge  paß-und karteigerecht optimieren oder reduzieren zu lassen, nach zu kommen.

Daten nützen - Daten schützen? In einer funktionierenden Demokratie sollte damit überhaupt kein Schindluder getrieben werden können. Aber wer bewahrt uns davor, das nicht Schindluder mit der Demokratie getrieben wird?

Blauäugigkeit nicht!   

"Es ist Orwells Welt da draußen!" Der Überwachungsexperte Brill (Gene Hackman) in dem Actionthriller von Jerry Bruckheimer aus dem Jahr 1998 ENEMY OF THE STATE (Der Staatsfeind Nr.1).

rds

Themenhinweis: Grundrechtereport 2004, Zur Lage der Bürger-und Menschenrechte in Deutschland, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 2004

Telepolis, Ralf Grötker, Reingespuckt, rausgefischt


"Sicherheit wird verstanden als das sichere Funktionieren eines Systems, bei dem nicht mehr die Menschen im Mittelpunkt stehen, sondern deren Daten."                  

Thilo Weichert (Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein)

"Schon die Befürchtung, beobachtet zu werden, weckt Mißtrauen und wirkt verhaltensverändernd, nicht erst die tatsächliche Beobachtung."

Andreas Pfitzmann (Prof. TU Dresden)

DIE ZEIT, Götz Hamann und Marcus Rohwetter, Wir werden täglich ausgespäht




Berlin-Neukölln, Sonnenallee

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Gesundheitszentrum für Obdachlose in Berlin-MitteJenny De La Torre  STIFTUNG

Medizinische Hilfe & Betreuung für Obdachlose in Berlin


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