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Das Landesdenkmal "Die Göttinger Sieben" vor dem Landtagsgebäude in Hannover

Ein Denkmal für Zilvilcourage

Die Göttinger Sieben, Hannover, 2004rds"Die Welt ist voll von Männern, die das Richtige lehren, aber wenn sie handeln sollen, dann entblättert sich ihr Charakter wie der Herbstbaum nach dem Nachtfrost. Es bleiben nur nackte Äste zurück."  Jakob und Wilhelm Grimm

Hans Kelsen

DIE PHILOSOPHISCHEN GRUNDLAGEN DER NATURRECHTSLEHRE UND DES RECHTSPOSITIVISMUS

PAN-VERLAG ROLF HEISE, Charlottenburg 2, 1928

"Auch die widerspruchloseste Ordnung und die vollkommene Verwirklichung der formalen Gleichheitsidee kann einen Zustand höchster Ungerechtigkeit darstellen. Auch eine F r i e d e n sordnung! Denn auch "Friede" muß nicht "Gerechtigkeit" bedeuten; nicht einmal im Sinne einer Interessen-Solidarität. Am "Frieden" kann nur eine bestimmte Gruppe interessiert sein, eben jene, deren Interessen durch die Ordnung besser gewahrt sind als die der anderen, die die Ordnung nicht verletzen, den Friedenszustand darum wahren, nicht weil sie ihn für gerecht halten, sondern weil sie sich mit dem Minimum an Interessenschutz, den die Ordnung bietet, angesichts der eigenen Schwäche abfinden müssen. F r i e d e n s - Sehnsucht bedeutet in der Regel den Verzicht auf das ursprüngliche Ideal der G e r e c h t i g - k e i t." (S.71)

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Q U A R A N T Ä N E - S T A T I O N


Nun braucht Thilo Sarrazin nicht mehr allein und vereinsamt auf der Quarantäne-Station ausharren und darben! Die Einlieferungsquote für geistige Brandstifter, hat sich mit dem nicht unerwartet schnellen Zugang von Guido Westerwelle, die personifizierte, demagogische Ein-Mann-Sturmabteilung enthemmten neolibelaren Zeitgeistes, im Gewande des Vize-Kanzlers,  schlagartig verdoppelt. Thilo und Guido: das Traumpaar, die Putztruppe der deutschen Leitkultur; Fleiß, Ordnung, Gehorsam, Fügsamkeit und Gewissenhaftigkeit. Die Klassenfeinde fest im Visier: türkische Gemüsehändler, rumhängende Langzeitarbeitslose und unmotivierte Hartz IV-Empfänger. Den Sozialismus in seinem Lauf, halten Thilo und Guido auf!

Das Team könnte noch Verstärkung gebrauchen, und wird sie gewiß auch erhalten. Es blabbern und schwadronieren genug potenzielle Kandidaten durch alle Talkshows, schlagen brachiale verbale Schneisen durch die gesamte Medienlandschaft. Sie führen sich auf wie ein Robin Hood für die entrechteten Wohlsituierten. Peter Sloterdijk neuerdings, oder ein Serienheuchler wie Hans-Olaf Henkel würden ganz gut in das Team passen. Wer noch außer ihnen?

rds 13.02.2010


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NUMMER SECHS


"Where am I?"

"In The Village."

"What do you want?"

"Information."

"Whose side are you on?"

"That would be telling. We want Information. Information. Information."

"You won't get it."

"By hook or by crook, we will."

"Who are you?"

"The new Number 2."

"Who is Number 1 ?"

"You are Number 6."

"I am not a number - I am a free man!"


KOCH MEDIA HOME ENTERTAINMENTVom Sommer 1969 an, bis ins Frühjahr 1970 hinein, waren im Zweiten Deutschen Fernsehen als Erstausstrahlung in unregelmäßiger Abfolge, und zumeist zu später Stunde gesendet, die einzelnen Episoden einer m. E. nach anregendsten, brilliantesten und innovativsten Fernsehserie zu sehen gewesen: die der britischen Mysterie-Serie NUMMER SECHS - im Original: "The Prisoner". An dieser Einschätzung hat sich auch nach inzwischen mehr als 35 Jahren öffentlich-privater Fernsehgeschichte seit der Erstausstrahlung, und in Anbetracht des in diesem Zeitraum progressiv angehäuften Fernsehmülls, nichts Wesentliches geändert. Ein Lichtblick - wie die von KABEL 1 im ersten Quartal 2007 gesendete Serie "Life on Mars" - soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Alle 17 Episoden, einschließlich die der vom ZDF damals nicht ausgestrahlten und unsynchronisierten, englischen Originalfolgen, die die eingedeutschten an Brisanz teilweise übertreffen, liegen seit Oktober 2006 in einer von der KOCH MEDIA GbmH. produzierten, insgesamt 7 DVDs umfassenden Box vor. [1]

Ein Secret-Service-Agent, die spätere NUMMER SECHS, von Patrick McGoohan gespielt und dem letztlich auch die ganze Produktion zu verdanken ist, schmeißt aus für den Zuschauer noch unerfindlichen Gründen seinen Job, wird mit einer Art schnell wirkendem Nervengas betäubt, entführt und erwacht in einer rätselvollen, alptraumhaften-surrealen und namenlosen Kleinstadt. "The Village" wird total überwacht. Jeder Ausbruchversuch eines der nur durch Nummern indentifizierbaren -und damit auch klassifizierten- Bewohner löst sofort die höchste Sicherheitsstufe, den "weißen Alarm" aus.

screenshot: Koch Media Home EntertainmentVor dem Hintergrund des seinerzeit bestehenden Ost-West-Gegensatzes, des "Eisernen Vorhangs", versucht eine die ganze Stadt kontrollierende und bestimmende NUMMER ZWEI die wahren Gründe für den Rücktritt des Agenten mit Hilfe eines ausgeklügelten Täuschungs und-Manipulationssystems herauszufinden. Erstaunlich und gleichzeitig bedrückend ist, wie um das Produktionsjahr 1967 (!) herum einige noch als reine Phantasie erscheinende, hier in den einzelnen Episoden dargestellte psychologische Techniken, manipulative Eingriffen in die Gehirnstruktur , gezielt initiiierte Persönlichkeitsspaltungen (z. B. in THE SCHIZOID MAN - in der Produktionsreihenfolge Episode Nr. 7 und damals nicht gesendet) unserer heutigen Zeit vorweg genommen erscheinen. [2] Andererseits werden schon damals gängige Praktiken von Hypnose, Gehirnwäsche und das Verabreichen von Drogen in die Handlungen miteinbezogen, ( z. B. in A CHANGE OF MIND).

"I am not a number - I am a free man!"

screenshot: Koch Media Home EntertainmentNUMMER SECHS führt ohne Unterstützung und nur auf sich allein gestellt, scharfsinnig und mißtrauisch gegen jeden, einen ungleichen Kampf mit der, trotz aller Hilfsmittel und Tricks beständig versagenden und daher austauschbaren NUMMER ZWEI. Das Bewahren der eigenen personalen Identität über alle körperlichen, mentalen und psychischen Manipulationsversuche hinweg, die bis an den Rand seiner Zerstörung gehen können, die aber unterbleibt, weil dadurch auch sein Geheimnis des wahren Grundes unaufgedeckt bleiben würde, und das unstillbare Verlangen nach der physischen Freiheit, dieses Suchen, Vorbereiten und Durchführen von Fluchten und Fluchtmöglichkeiten, kennzeichnen die einzelnen Episoden durchgehend.

Als Schlüssel zu diesem mit britischem Sportsgeist durchsetzten 'Katz und -Maus-Spiel' wirkt hintergündig die imaginäre NUMMER EINS. In einer fulminanten Abschlußepisode wird diese geheimnisvolle NUMMER EINS spektakulär mit einem ungewöhnlichen Überraschungseffekt entlarvt, den hier preiszugeben, sich verbietet.

Nekrolog?

"Ich bin keine Nummer - ich bin ein freier Mensch!"

Trotz allem kommt die lebenslange, von Geburt an (!) vergebene Steuer-Identifikationsnummer. In einem zentralen Register werden dann alle in Deutschland steuerpflichtige Personen, also praktisch die gesamte Bevölkerung, mit ihren Personalien und der jeweils aktuellen Anschrift erfaßt. Das wurde mit dem Steueränderungsgesetz 2003 beschlossen. Da war noch ROT-GRÜN am Regierungswerkeln. Bei Peter Schaar, dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, bleiben "...grundlegende Zweifel an dem Gesamtvorhaben bestehen." [3]  

Wenn wir nicht ganz genau aufpassen, droht uns allen ein ähnliches Schicksal wie NUMMER SECHS in "THE VILLAGE".


ANMERKUNGEN:

[1] KOCHMEDIA-DVD.COM, Bestell.-Nr. DVM 000146D, Produktionsjahr 1967, Erscheinungsdatum der DVD-Box 20.10.2006

[2] Die Gehirnforscher wenden sich der Erforschung der menschlichen Gedanken zu. Kristina Vaillant schreibt in ihrer Einführung zu dem am 9. Mai 2007 in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin stattgefundenen 11. Berliner Kolloquium der Gottlieb Daimler- und Karl Benz Stiftung, in Zusammenarbeit mit dem Bernstein Center für Computational Neuroscience und dem Universitätsklinikum Charite`Berlin: "(...) Wissenschaftler machen sich (dabei) die Tatsache zunutze, dass jeder Gedanke mit einem charakteristischen Aktivierungsmuster im Gehirn einhergeht. In Analogie zu Fingerabdrücken kann man sich solch ein Muster als einen einzigartigen, unverwechselbaren "Abdruck" eines Gedanken im Gehirn vorstellen." (...) "(...) ein wesentlicher Erkenntnisfortschritt (war dabei), dass die feinen Details  unserer Gedanken und Erlebnisse, also beispielsweise welches Bild oder welche verborgene Absicht sich ein Mensch vorstellt, in den feinkörnigen Aktivitätsmustern einzelner Hirnareale gespeichert sind. Neueste Experimente weisen darauf hin, dass sogar noch unbewusste Gedanken an diesen Verteilungsmustern der Hirnaktivität abgelesen werden können."

NUMMER ZWEI verwendete auch noch kein "Bewusstseinsmessgerät" ("conscious-ometer") wie es sich der Wissenschaftler Christof Koch als Ergebnis seiner Forschungsarbeit vorstellt. Aber Instrumente, die Vorläufer eines solchen "Gerätes" sein könnten, finden schon ihre fiktive Anwendung in der Spielhandlung von "The Prisoner".

[3] Tätigkeitsbericht 2005 und 2006 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit - 21. Tätigkeitsbericht - S. 100

rds

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D A M P F P L A U D E R E I E N


In der Dämmerstunde der politischen Redlichkeit: Während Frau Merkel, Bundeskanzlerin, im Rundfunk [1] mit der smarten Fernsehmoderatorin Anne Will ein fröhliches und unverkrampftes Dampfplauderstündchen hält, das unterbrochen und unterlegt ist mit klassischer Musik a' la Mozart und Wagner und mit solchen Bekenntnisse wie: "Ich lebe mein Leben in einem gesunden Verhältnis von Reden und Schweigen", aufwartet, hat sich in Heiligendamm ein 13 Kilometer langes, millionenteures Monsterwerk vollendet, das den Mauerbau von 1961 als logistische Vorübung erscheinen läßt.


Öffentlich ausgeschrieben von den Beschaffungsbehörden des Bundes, dem Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) und dem Beschaffungsamt des Bundesministerium des Innern - dessen Minister bekanntlich Wolfgang Schäuble ist - und mit cirka 10 bis 15 Millionen Euro zu Buche schlagend, ist das häßliche Machwerk (Sicherheitszaun 06E0370) die denkbar schlechteste Kulisse für ein theatralisches und selbstherrliches, finales Schaulaufen im Sommer 2007 (vom 6. bis 8. Juni), das einst 1975 als 'Weltwirtschaftsgipfel' begann und nun unter der Bezeichnung 'G8-Gipfel' firmiert.

Wurde einst mit dem "antifaschistischen Schutzwall" der "real existierende Sozialismus" eines sich angeblich den "Arbeitern und Bauern" verpflichtet fühlenden Staatsunwesen namens "DDR" [2] vor der "revanchistischen und kapitalistischen BRD" und der "politisch-selbständigen Einheit Westberlin" "bewahrt" und "beschützt", dürfen sich ein paar Regierungschefs der führenden Staaten und Wirtschaftsmächte der Welt nun in der am besten und schärfsten bewachten Hotelanlage der Welt - zu Lande, zu Wasser, in der Luft und wahrscheinlich auch noch im Untergrund - zum Gruppenbild mit Dame aufstellen. Die Dame Merkel ist auch Gastgeberin und -wie wir inzwischen wissen- führt sie ihr Leben, womit wohl nicht nur ihr politisches, öffentliches gemeint ist, "in einem gesunden Verhältnis von Reden und Schweigen." Was läßt das für die anstehenden Gespräche mit Blair, Bush & Co. erhoffen?

Derweilen übte sich auch BaWü-Minsterpräsident Günther Oettinger (CDU) als Trauer-Schönredner für einen seiner kürzlich, im gesegneten Alter von 93 Jahren verstorbenen Vorgänger, den während der NS-Zeit als Marinerichter tödlich agierenden Hans Filbinger. Tiefenpsychologisch erkannte er rückwirkend den unartikulierten Widerstand in Filbingers Innerstem und nutzte seine Ansprache für eine der frechsten Geschichtsumdeutungen und Verbiegungen der letzten Jahre. Auch wenn sie nur wenige Tage hielten, weil ein starker öffentlicher Druck und Protest und schließlich die Kanzlerin höchst persönlich, wieder einmal im rechten Erkennen, wann sie zu reden hat, eine Entschuldigung erzwangen. Oettinger hingegen kann man ein klug ausgeglichenes Verhältnis von Reden und Schweigen nicht attestieren.

Vom Inaugurator der modernen Überwachung und Sicherheit in Deutschland im Jahre 18 n.d.W. (nach der Wende) und forschen Bürgerrechtsamputierer, Innenminister Dr. Wolfgang Schäuble, wünschte ich, jemand könnte ihn mit einem Schweigegelübde belegen. Staat kommt von Lateinischen status und bedeutet Stand, Zustand. Der Ist-Zustand des Staates Bundesrepublik Deutschland, erst recht noch die 'Zustände', die drohen Wirklichkeit zu werden, wenn Minister Schäuble seinen eingeschlagen Kurs unbelehrbar fortsetzt, wirken bedrohlich und beängstigend, und es stellt sich fast wie von selbst die Frage, was die Bevölkerung für ein krudes Sicherheitsgefühl noch alles hinzunehmen willens und bereit ist?

Da aber der Zeitgeist vom All-inclusive-Gedanken durchdrungen ist, Payback-Karten - zum offenen Datenabgriff konstruiert - um geringster Vorteile willen unbedenklich genutzt werden und niemand in Zukunft auf eine Reise in die Ferne wird verzichten wollen, obwohl in seinem Paß bald ein kleiner RIFD-Chip voller gespeicherter Identitätsmerkmale steckt, die auch die Grenzbeamten höchst fragwürdiger Regime werden auslesen und speichern können, ist es wichtig und notwendig, durch öffentliche Proteste und Demonstrationen, wie kürzlich in Frankfurt am Main am 14. April geschehen, Gegendruck zu erzeugen und Aufklärung zu leisten. Schäuble hat sich seines demokratischen Brautkleides längst entledigt und zutage kommt seine rechtsstaatliche Schlangenhaut.


ANMERKUNGEN:

[1] "Radio ist das eindringlichste Medium, das es gibt. (...) Das Fernsehen erzählt schon lange nichts mehr über die Wirklichkeit, sondern nur darüber, was das Fernsehen aus der Wirklichkeit macht und wie es Ersatzwirklichkeit schafft. Fernsehen ist das Präservativ der Wirklichkeit."

Wiglaf Droste, Stumpft der Mensch vom Gaffen ab? in: Programmzeitschrift Deutschlandfunk/ Deutschlandradio Kultur, April 07

[2] "Die DDR - ein Zufallsstaat ohne Geschichte und Identität - ..."

Tony Judt, Die Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg, Bonn 2006, S. 658


rds

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DIES IST NICHT MEIN LAND


Es ist kein Wunder, daß aus den perfekten Faschisten perfekte Demokraten in der Bundesrepublik und perfekte Kommunisten in der DDR geworden sind, nur sind diese nicht demokratisch und jene nicht kommunistisch. Sie sind nur perfekt.

Lea Fleischmann, 1980


Gedenktage, Gedenkjahre, Würdigungen. Erinnert wird an etwas Großes, es sei Gutes oder Schmachvolles.

Fünfundzwanzig Jahre DIE GRÜNEN. Nur einer, wenn auch wichtigen, Anmerkung zur deutschen Parteiengeschichte, vom Ausrufezeichen zum Fragezeichen verschmiert, gedenkt Mensch nicht; man(n)/frau/mensch erinnert andere und erinnert sich selbst, launisch. Ein Tusch, keine Grabrede, wir regieren.

Dann schon der zweihundertste Todestag von Friedrich Schiller. Mehr noch: Einsteinjahr. Einhundert Jahre Relativitätstheorie, glänzend dazu sein fünfzigster Todestag. Sechzig Jahre seit der Befreiung von Auschwitz, und das Kriegsende. Infernalische Bombardierung Dresdens. Vor vierzig Jahren die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel. Was bleibt noch? Fünfzig Jahre Bundeswehr.

Holocaust-Denkmal, Berlin Foto: 2005rdsGroße Erinnerungen. Bittere Erinnerungen. Große Dinge. Wichtige Würdigungen. Große Mahnungen, bittere Mahnungen und große Mahnmale dazu. In Worten, im Geiste, im Hier und Jetzt. 2751fach schmerzhaft gegenständlich, gegenwärtig. Dabei ist die Gegenwart im Subjekt nur inkonsistente Mixtur einer reflektierten Vergangenheit und einer offenen Zukunft, nie wirklich präsent, nie wirklich zugegen, fließend, flüchtig. Sie ist aufgeblähter Aufenthaltsraum des Vergangenen und unkalkulierbarer Explosionsraum des Zukünftigen. Das Mahnmal ist das erstarrte zeitliche Verbindungsglied, verknüpft das Gedenken des Gewesenen mit dem Bedenken des Zukünftigen. 

Auch wenn gegenwärtig wenig reibungslos zu funktionieren scheint, die deutsche Gedenkkultur ist unschlagbar perfekt in diesem Schiller-Einstein-Kapitulations-Befreiungs-Gedenkjahr 2005.

Zum Anlaß der Reflexion und des Innehaltens, des Bekehrens oder Umkehrens, des neu Überdenkens können auch Bücher werden. Welche Beschreibung von damals, so substanziell subjektiv und persönlich sie auch gewesen sein mag, hat bis heute ihre Gültigkeit behalten oder schon längst verloren?

Vor fünfundzwanzig Jahren, im Jahre 1980, also bevor dieses Land verkohlt, vereint und verschrödert worden ist, wandte sich Lea Fleischmann mit einem Buch an die bundesrepublikanische (westdeutsche) Öffentlichkeit: Dies ist nicht mein Land.

Lea Fleischmann (Lea Rosenzweig) wurde 1947 in Ulm geboren. Aufgewachsen im DP-Lager Föhrenwald in  Oberbayern, (DPs - Displaced Persons), siedelte sie als Zehnjährige zusammen mit ihren Eltern nach Frankfurt a.M. um. Abitur. Sie studierte an der Universität Frankfurt Pädagogik, Psychologie und Anthropologie. "Wir diskutierten semesterlang über autoritäres und unautoritäres Verhalten und orientierten uns an neuen Wissenschaftsgöttern -  Horkheimer, Adorno, Marcuse. (...) Wir waren gegen autoritäre Strukturen und belegten dies mit wissenschaftlich anerkannter Literatur, lösten die alten Autoritäten durch neue ab, merkten es nicht, sondern kamen uns ungeheuer antiautoritär, progressiv und revolutionär vor."

Abschluß als Diplompädagogin mit einer Arbeit über die außerfamiliäre jüdische Erziehung in der Bundesrepublik. L.F. unterrichtete zunächst in Wiesbaden an einer Fachschule für Sozialpädogogik angehende Erzieherinnen und Erzieher. "Als Lehrerin lerne ich nun, daß die Hauptaufgabe des Lehrens darin besteht, die Schüler für blöd zu verkaufen, wie man selber für blöd verkauft wird. (...) Ich entdecke, daß die Schule im wahrsten Wortsinn eine Scheinwelt ist, eine Welt, in der nur der Schein, der Zettel, das Zeugnis gilt. Der Verstand wird ausgeschaltet, an seine Stelle tritt das Papier."

Holocaust-Denkmal, Berlin Foto: 2005rdsSie wird nach dem bestandenen Zweiten Staatsexamen Studienrätin, verbeamtet und an einer anderen Schule als Lehrerin "verwendet". "Großmutter, stell dir vor, man fragt mich, ob ich mit meiner Verwendung einverstanden bin. Hat der SS-Mann dich damals auch gefragt, ob du mit deiner Verwendung einverstanden bist? (...) Der Mensch ist kein Mensch. Der Mensch ist eine Sache mit einer Funktion. Heute habe ich die Funktion des Lehrers, und deswegen verwendet man mich als Lehrerin, gestern hattest du die Funktion des Opfers, und deswegen wurdest du für Seife verwendet."  

"Fünf Jahre lebte meine Mutter unter den Deutschen, und fünf Jahre lebte ich mit ihnen. Es ist genug." 1979 wanderte Lea Fleischmann nach Israel aus, 1980 erschien dann ihr vielbeachtetes Buch mit dem Untertitel: Eine Jüdin verläßt die Bundesrepublik.

Ausgehend von dem eigenen Leben und Erleben, aus dem heraus Lea Fleischmann damals für sich persönlich konsequent schlußfolgerte -Dies ist nicht mein Land-, kann die (wiederholte) Lektüre ihres Buches zur eigenen Reflexion und kritisch geschärftem Blick auf die Verhältnisse der nun erweiterten Bundesrepublik der vergangenen Jahre anregen, ohne sich dabei thematisch auf das von ihr vorgezeichnete und beschriebene gesellschaftspolitische Feld einschränken zu lassen, denn der begriffliche Unterschied zwischen dem "verwendeten" und verfügbaren Menschen ist verschwindend gering genug. So stellte Oskar Negt zuletzt in seiner Streitschrift Wozu noch Gewerkschaften? (2004) klar: "Der allseitig verfügbare Mensch ist ja auch in dem angelegt, was im Wörterbuch des Unmenschen Platz finden müßte, nämlich der Ich-AG."

Von der Autorin sind noch folgende Titel (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) erschienen:

Abrahams Heimkehr, Geschichten zu den jüdischen Feiertagen, 1989

Gas, Tagebuch einer Bedrohung. Israel während des Golfkrieges, 1991

Schabbat, Das Judentum für Nichtjuden verständlich gemacht, 1994

Rabbi Nachman und die Thora, 2000

Unter dem Leitmotiv: Mein Weg von Deutschland nach Israel - Eine Wanderung zwischen den Kulturen, unternimmt Lea Fleischmann auch im Jahr 2005 wieder eine Leserreise durch die Bundesrepublik. Stationen (ohne Anspruch und Gewähr auf Vollständigkeit und Richtigkeit):

17. Februar 2005 Burghausen; 21. Februar 2005 Bonn; 24. Februar 2005 Königswinter; 25. Februar 2005 Erfurt; 01. März 2005 Weinsberg; 11. März 2005 Iserlohn; 14. März 2005 Memmingen.

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BLITZlicht: Darf man hierzulande kein Demokrat mehr sein? Man darf. Man muß. Günter Gaus' brilliante, pointierte Analayse benennt Gründe für das Sichtum des Politischen und für die wohlüberlegte Zurückhaltung und die Verweigerung bei Wahlentscheidungen, die längst zu fernsehgerechter Eventkultur mutiert sind.

Günter Gaus, Warum ich kein Demokrat mehr bin. Über die politische Kultur der Gegenwart.   Süddeutsche Zeitung vom 23.08.2003

Leicht gekürzte Fassung in Freitag vom 21.05.2004

Übrigens: q u e r b u e r s t e /das-lose-mundwerk bekennt sich ebenfalls uneingeschränkt zur FDGO!

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Foto: 2004rds


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"ROM LIEGT JENSEITS DES RUBIKON"

Hubert Markl's Rede (Abdruck in der Sueddeutschen Zeitung vom 25.06.2001), sie klingt wie ein Hohe Lied auf die menschliche Freiheit. Schon Schelling befand einige Jahre vor 1848 die Freiheit als "unser und der Gottheit höchstes. Diese wollen wir als die letzte Ursache aller Dinge". Kürzlich äusserte sich Hans Magnus Enzensberger im Spiegel noch besorgt, wenn es um die Freiheit (der elementaren Lebensinteressen) des Einzelnen geht. Die meisten Menschen sollen ihr wohl nicht gewachsen sein. Er konstatiert eine Überforderung.

Markl hingegen nimmt uns gleich in die Selbstverpflichtung, "denn in Fragen von Gewissen, Moral, Freiheit, Verantwortung und Menschenwürde muss jeder Bürger sein eigener Experte sein." Wer könnte ihm darin wohl nicht zustimmen, weil als "Mensch im eigenen Innersten berührt, letztlich selbst für seine Gewissensentscheidung verantwortlich", bin ich auch zutiefst befriedigt über folgenden Satz, gerichtet gegen das "biogene Medienspektakel", hauptsächlich handelnd von der genetischen Determiniertheit  des Menschen: "das der im Laufe seiner Evolution zu Freiheit von Urteil und Handeln aus genetischem Naturzwang entlassene Mensch tun kann, was die Natur im Tierreich sonst durch genetisches Programm erledigt, wenn er es so richtig findet." Da es "über die Jahrhunderttausende hinweg immer mehr (gelungen ist, uns) von den Schicksalszwängen der Natur zu befreien", denkt der heute moderne, multifunktional kommunizierende und technikversierte Mensch, es kann überhaupt nicht mehr mit dem, "was ihn eigentlich erst zum Menschen macht: seine kulturbedingende Entscheidungsfreiheit", konform gehen, dieser "Freiheit und Selbstverantwortung zu entsagen und sich blind hoffend und leidend dem Naturgeschehen auszuliefern." 

Die Freiheit, meine Freiheit als "kulturell-sozial begründete Attribution", Mensch, gerade auch noch so in unserem wissenschaftsbahnbrechenden Zeitalter bis jetzt der Natalität, der Gebürtlichkeit, dem Geborenwerden durch eine Frau bedürftig gewesen und als "freier selbstentscheidungsberechtigter Staatsbürger" -ich freilich sähe mich dazu noch ausdrücklich auch als selbstentscheidungsfähiger und selbstentscheidungswilliger Staatsbürger, der seine Berechtigung nicht erst, von wem auch immer, dankbar empfangen muß, sie daher auch wieder aberkannt bekommen kann- dieser Freiheit entspringt dann nicht nur "der Geist erbarmungsloser Moral", sondern ebenfalls auch die Billigung oder tätige Zustimmung zur PID, Sterbehilfe, Stammzellenforschung, dem therapeutischen Klonen etc. 

Wo nun alles aus dem Geiste menschlicher Freiheit erwächst und keine Gene im Kopf die Urteilsfähigkeit manipulieren oder determinieren sollten, verstehe und verorte ich munter selbstmeinungsbildend vieles als einen gewaltigen Interessenkampf zweier intellektuell und wissenschaftlich höchstzertifizierter, kampferprobter Streitlager um die zukunfts- und damit gesellschaftsbestimmende Definitionshoheit über die nicht erst von Kant gestellte Frage -und ihrer möglichen Antworten- :"Was ist der Mensch?"

Da Menschsein "kein Etikett der Natur, sondern eine selbstbezügliche Redeweise von Menschen (ist), deren Bedeutung nicht die Natur festlegt, sondern die sie selbst bestimmen", soll der Status des Menschsein im Klartext am progressiv fortschreitenden Höchststand wissenschaftlicher Forschungsdisziplinen, einschließlich ihrer je spezifischen Interessen -und Wissenschaft ist als der vollkommenste Ausdruck menschlicher Kultur gemeint- unter der Anspruchnahme "unverzichtbarer Teil unserer Menschlichkeit und Menschenwürde" zu sein, ausschließlich definiert und bestimmt werden. "Keinen naturgesetzlichen logischen Zwang" müßten wir dem Ergebnis unterstellen, ganz gemäß dem kantischen Diktum, daß wir der Natur ihre Ordnung geben. Aber ob das die Ordnung der Natur ist, wissen wir nicht.

Ob mit oder ohne mythische Verschleierungen, bestimmen und bestimmten ganz pragmatisch bis in die jüngste Geschichte hinein nur einige wenige Menschen, was die anderen zu sein oder eben nicht zu sein hatten. Nicht Mensch, dann Sklave, Werkzeug; oder Forschungsgegenstand, Behandlungsobjekt, Bedürftigkeitsobjekt, Bedarfsobjekt. Selektionsobjekt in totalitären Regimen mit wissenschaftlichem Anspruch. Ein Bekenntnis zu unserem menschlichen Versagen müßte da auch ein Bekenntnis zu unserem wissenschaftlichen Versagen einschließen (zur Erinnerung: Wissenschaft ist als der vollkommenste Ausdruck menschlicher Kultur gemeint). Die Freiheit gerät manchmal zur Einbahnstraße, hin zu einem totalen Kulturversagen, wenn die politischen Verkehrssignale falsch gesetzt sind.

Ohne mich gleich als "lebens- und bis zum Ende tributpflichtiges Staatseigentum" zu begreifen und in meinen Überzeugungen ebenso "irrtumsanfällig" wie irgendwer, scheint mir die Bemerkung: "An Behinderten wird es der Gesellschaft also bestimmt nicht mangeln", wie ein beschwichtigender Hinweis an die Fatalisten unter uns, die meinen, es käme ja sowieso alles, wie es kommen muß. Aber ein bißchen moderater, ein bißchen menschlicher eben schon, deutet Markl an.

Die Freiheit des Menschen erhält ihre Logik in der Permanenz von Grenzüberschreitungen, als Folge des ungebremsten und unbehinderten wissenschaftlichen Forschungsdranges, welcher der höchste menschliche Ausdruck dieser Freiheit ist. Die Rubikonüberschreiter setzen daher auf die zermalmende Kraft des Faktischen. Verlierer, Bezwungene kann es gar nicht geben, man ist so oder so immer auf dem richtigen Weg des Erkenntniszuwachses. Warum sollten da die Verhältnisse in einem Expertenimperialismus zu versteinern drohen?

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BLITZlicht: Eine der kräftigsten und klangvollsten Stimmen in dem großen Rezeptions- und Erinnerungschors zum 200. Todestag Immanuel Kants und seines epochalen Werks ist sicher Oskar_Negt zuzuordnen. Der jetzt emeritierte, im Ostpreußischen geborene Professor lehrte einst am Institut für Soziologie an der Universität Hannover. Mancher Student mag noch heute von seinen legendären doppelstündigen Vorlesungen zehren, in denen er auch und immer wieder Kant thematisiert und behandelt hatte. Im Vorjahr 2003 erschien die überarbeitete und erweiterte akademische Abschiedsvorlesung als Buch unter dem Titel: Kant und Marx - Ein Epochengespräch.

In der Ausgabe der Ost-West-Wochenzeitung Freitag vom 13.02.04 ist seine Hommage an Kant -und es wird sicher nicht die letzte dieser Art bleiben- nachzulesen: 

Licht oder Wanzen, Kritik oder Krieg

Zum 200. Todestag Immanuel Kants. Warum man große Denker im Original lesen muß.

Stellung bezog Oskar Negt auch zu der umgreifenden Elitediskussion in der Frankfurter Rundschau vom 26.01.04:

Ein missbrauchter und entehrter Begriff

Wo Elitediskussionen im Schwange sind, ist die Zweiteilung der Gesellschaft nicht mehr weit.

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Foto: 2004rds



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BLITZlicht: Deutsche Autobahnen: Kampfplatz minderwertigkeitskomplexbeladener Autofahrer und zeitweise mit offener Psychiatrie vergleichbar?

Unverständnis der Deutschen für die US-amerikanische Waffenvernarrheit und deren Lobbyismus. Andererseits ist das Auto des Deutschen geliebtes und gehegtes Volkssymbol und wird tagtäglich zu einer gefährlichen Waffe umfunktioniert und mißbraucht.

Brauchen wir ein Tempolimit? fragt Oliver Christ in Standpunkte/ ndrinfo vom 20.02.2004

Unter dem Titel: Kant und die Moral der Radfahrer - Liefert der Straßenverkehr ein Abbild unserer Republik? - sinniert im Politischen Feuilleton vom 30.04.2004 im DeutschlandRadio Berlin Uwe Bork über den Imperativ der ganz persönlichen Vorfahrt.

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Foto:2004rds


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Sterndeutung: Unser allseits beliebter Fischer, Joschka, als des Metzgermeisters gymnasialschulisch geadelter Bürgerssohn und Schröder, als der nachkriegs-barackengeschädigte, bissig aufstiegsorientierte, komplexbeladene underdog und Putzfrauensohn: Wie aus biographischen Puzzleteilen eines den eigenen Intentionen in allen Farben, von neidgrün-gelb bis in Vergißmeinnicht blau schillerndes Mosaik einer Männerfreundschaft hergestellt und unter Auslassung nicht passend gesehener Teile Bildhaft beschrieben und ausgedeutet wird, ist in dem, im Stern erschienenen Artikel Riss in der Beziehungskiste nachzuvollziehen und zu lesen. 

Das inhaltlich, tendenziös fischerbewegte Script, eher tiefenpsychologisch mißglückte Politglosse, denn erhellendes Aufklärungs- und Beziehungsdrama, bietet daher auch nach zwiespältigem Lesevergnügen zumindest noch einen Bastelspaß: zusammenfalten und als Papierschiffchen die Spree hinunterdümpeln lassen.

Riss in der Beziehungskiste, Tilman Gerwin, Stern vom 19.02.2004

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Foto: 2004rds


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Von allen Staatsformen gewährt die parlamentarische Demokratie ihren Mitgliedern das größte verbriefte Recht auf individuelle Freiheit. In Tat und Wahrheit ist der Spielraum nicht groß. Es kann deshalb nicht als Ausdruck eines ängstlichen Pessimismus gedeutet werden, wenn man sich um den Fortbestand dieses Wenigen Sorgen macht. Denn offenbar fällt es unvergleichlich schwerer, eine kollektive Lebensform zu erreichen, welche Gedankenfreiheit gewährt - als Basis jeder Freiheitserfahrung -, als diese Freiheit wieder zu verlieren. (...) Wo aber Gedankenfreiheit nicht fortwährend kritisch herausgefordert wird, ist sie in Gefahr, wieder zu verlöschen.

Alexander und Margarete Mitscherlich

DIE UNFÄHIGKEIT ZU TRAUERN, Grundlagen kollektiven Verhaltens

Piper Verlag, München 1968, S. 7/8

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Blitzlicht: Kopftuch und Schleiertanz

Wie will eine Partei, die sich selbst klar und eindeutig als christlich orientiert versteht und sich dem christlichen Menschenbild verpflichtet fühlt, die in einigen Bundesländern und gegebenfalls 2006 wieder auf Bundesebene die Regierung stellt und stellen will, die gebotene Neutralität in den religiösen Fragen vertreten und praktizieren, wenn ihr Selbstverständnis eben aus dieser christlichen und damit religiösen Orientierung herrührt und zur Grundlage gemacht ist, das politische, staatliche Handeln aber laizistisch ausgerichtet sein soll? Nicht Werteneutral, aber Religionsneutral.

Die Rede ist von den Volksparteien CDU und CSU: Christlich Demokratische Union Deutschland; Christlich Soziale Union in Bayern. Das religiöse Bekenntnis zum Christentum wird an erster Stelle im Parteinamen aufgeführt.

Wie kann ein Staat sich nach Innen und Außen in religiösen Fragen neutral verhalten, die strenge Trennung von Kirche und Staat zur gesetzlichen Grundlage machen, aber für diese Kirche staatliche Hoheitsakte vollziehen, in dem er Steuern bei den noch bekennenden, zumindest aber eingetragenen Mitgliedern dieser Kirche einzieht?

In das seit Jahrhunderten christianisierte Europa scheint das Christentum, heute als eine unter vielen Religionen in Europa und der übrigen Welt, auch nach dem Zeitalter der Aufklärung, eine Art von natürlicher, von der Gesellschaft tolerierter (und gottgewollter?) Bestandsgarantie zu haben. Es ist und bleibt weiterhin die (religiöse) Urquelle säkularisierter und in unserer Verfassung aufgenommener Werte, wie zum Beispiel denen der Menschenrechte, die so der weltanschaulichen Beliebigkeit und politischen Austauschbarkeit weitgehend entzogen bleiben. Nicht aber dem wissenschaftlichen Diskurs, der Diskussion und interessenmultipler Definition darüber, was und ab wann der Mensch denn Mensch sein soll.

Die Repräsentanten des Staates, der also für eine christliche Kirchengemeinschaft exklusiv hoheitliche Verwaltungsakte ausführt, in dem er Steuern einzieht und der temporär und teilweise von politischen Parteien getragen wird, die ein christliches Weltverständnis pflegen, können sich bedingtermaßen neutral schwer tun bei der Beurteilung, dem Verständnis und der politischen Einordnung fremder, tatsächlicher oder nur vermeintlicher religiöser Symbole, wie im ürigen jeder andere Bürger auch. Der vielschichtige, von Nord nach Süd, von Flensburg bis Passau länderweite Wirrwarr beweist, man führt einen Schleiertanz auf um ein ansonsten rundweg harmloses Bekleidungsstück: dem Kopftuch.

Dabei stehen wir erst am Beginn einer Auseinandersetzung, eines Prozesses völlig anderer Qualität und Dimension. Wie geht eine individualisierte und (schlecht) säkularisierte Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit massenweise fehlt, die von der demographischen Auszehrung alpträumt und die religiösen Bindungen weitgehend entsagt hat, abgesehen von einem kleinen Häuflein praktizierender Clubchristen und ihren Glaubensverwaltern und Patriarchen in den Betanstalten, mit einem Thema um, das der Bevölkerungswissenschaftler Josef Schmid in Deutschland als ein Eliteprojekt plakatiert, das hinter verschlossenen Türen vorangetrieben und im Parlament durchgewunken wird: das Thema Europa. Das Thema Europa und die Eingemeindung der Türkei im Speziellen; ein Projekt selbstherrlicher rot-grüner Praxis?

Josef Schmid kommentierte dazu am 28.03.2004 im DeutschlandRadio Berlin:

Europa und die Türkei - Ausblick und Konsequenzen

Peter Merseburger, der Publizist und Schriftsteller, sprach zum selben Thema von einer widerwärtigen Heuchelei in der Politik; am 04.04.2004 im DeutschlandRadio Berlin.

Die Europäische Union und die Türkei-Frage

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BLITZlicht: Einreisende Datenträger

Wir sind keine harmlosen Touristen oder dollararme Globetrotter mehr, Geschäftsleute oder von jener sich rasant ausbereitenden Spezies postmoderner, multikultureller und universalisierter Wanderarbeiter der Premiumklasse, die ihre weltliche Unbehaustheit und Ruhelosigkeit zur Weltläufigkeit und globalem Bürgertum verklären, sondern allesamt einreisende Datenträger, die im Generalverdacht der US-Sicherheitsbehörden stehen, marodierend und zersetzend ihr Unwesen an der inneren Heimatfront zu treiben.

Der Input, den ein jeder Mensch identifizierbar und unauslöschlich als seinen ureigenen Datensatz ererbt und erwirbt und lebenslang mit sich herumträgt, muß nur technisch zweifelsfrei ausgelesen und staatlichen Kontroll-und Überwachungsfunktionen zugänglich gemacht werden.

Der Zweck, eine technische Investition kalkulier,-begründbar und lohnend zu machen, ist in dem Potential eines stets steigenden Bedürfnisses nach Mitteln zur Abwehr objektiver oder nur heimlich initiierter Gefahren enthalten. Wer gefährdet, wer wehrt und wacht über was, wem nützt das Ganze?

Die USA als der Initiator eines weltweiten Panoptikums der Überwachung (und des recht-und gesetzlosen Strafens)?

Thema Biometrie: Christiane Schulzki-Haddouti schrieb dazu in c't, magazin für computer technik 9/2004, S.52: Elektronischer Paß - "Biometrische Reisepässe" mit RIFD-Chips in der Einführungsphase

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Hilfskräfte

Das wir so sind, wie wir sind, Gene oder Umwelt hin oder her, ist auch die Schuld von Generationen von ungelernten Hilfskräften, die uns mehr oder weniger wohlmeinend im Zustand ihrer Unwissenheit und mit amateurhafter Stümperei aufgezogen haben. Aber mit Hilfe der modernen Pädagogik, werden wir uns in Kürze erst nach dem bestandenen Elternabitur zulassungs- und nummerus clausus befreit ans geprüfte, patentierte, verantwortliche, aber lustfreie Zeugen und Erziehen machen dürfen. Bereitwilligst unterwerfen wir uns längst schon dem Diktat der oft selbsternannten Spezialisten, Experten und Profis, deren Professionalität gelegentlich nur im phantasievollen Einfordern eigener Beschäftigungs- und Einkommensmöglichkeiten besteht. Akquisition pur.

Also her mit dem Eltern-Coach-Management in staatlicher (oder konfessioneller?) Verantwortung und Pflicht, zugunsten der vielen "professionellen", aber leider arbeitslosen Erzieher, Pädagogen, Sozialarbeitern und den Predigern an den Kathedern erziehungswissenschaftlichen Mainstreams.

Das in diesem Staat niemand, außer in der Politik, ohne Zertifikat, Prädikat, Diplom, Gesellen-oder Meisterbrief, Zeugnis, Titel oder Befähigungsnachweis etwas werden kann, und Autodidakten als Selbstschöpfungen ungelernten Gelehrtentums nicht ohne Grund nur in der Politik Fuß fassen können, reicht allemal aus, zu begründen, daß gerade in einem so wichtigen und existenziellen Bereich, wie der Erziehung und Pflege von Kindern und Jugendlichen, die fehlende Elternbildung und Professionalität in Szene gesetzt und in einem Atemzug kritisiert und (die im Ziel wissenschaftlich begleitete und standardisierte?) Ausbildung dringend angemahnt und eingefordert werden muß. 

Die durchrationierte "Wissensgesellschaft" erklärt ein jedes "natürliche" Vermögen -auch das Gebären ist umfassend medizinarisiert worden-, das bislang noch belehrungsresistent und unvermittelt geblieben schien, zu einem lästigen Fama. Erziehung ist ein von wechselfertigen pädagogischen Lehrmeinungen und Dogmen, und von religiös, politisch, ökonomisch durchwirkten Ideologien ausgeprägtes Minenfeld geblieben; ein Kampfplatz par excellence, auf dem Verunsicherung so leicht und umfassend gelingen kann, wie selten sonst irgenwo. 

"Die Enteignung unserer Alltagskompetenzen schreitet rapide voran. Die sogenannten Experten leben davon, daß wir alle irgendwann nichts mehr eigenständig vermögen, daß wir uns in allen Lebenslagen als beratungsbedürftige Mängelwesen begreifen und uns bereitwillig an den Tropf der Experten hängen lassen." (Götz Eisenberg, Entkalker für die Beziehungsmaschine, in: Freitag, Die Ost-West Wochenzeitung v. 18.05.2001)

Der Erziehungswissenschaftler und Leiter des Katholischen Jugenamtes Neuss, Albert Wunsch über: Kinderlachen, ein Relikt der Vergangenheit?, im DeutschlandRadio Berlin am 28.05.2004

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Befindlichkeiten

Mir scheint derzeit Schröders politische Gestimmtheit eine von fragwürdigen Omnipotenzgefühlen umwölkte Respektlosigkeit und kaschierten Verachtung gegenüber den sogenannten "kleinen Leuten" zu sein, aus deren ihm selbst einst zueignen Milieu er sich zum wohlhabenden, saturierten Rechtsanwalt und schließlich zum Bundeskanzler einer der führenden Wirtschaftsnationen der Welt emporgewunden hat. Was kümmert ihn jetzt noch der Schoß, aus dem er einst kroch?

Die ominöse, lastenungleiche Agenda 2010 ist die aus Gründen der Globalisierung ummantelte und verschleierte Notwendigkeit einer bewusst in Kauf genommenen, treibjagdähnlichen Verrohung gegenüber einem großen Bevölkerungskreis, und sie schlägt sich in demokratieunwürdigen Wahlbeteiligungen, jedoch desto klareren, durch nichts zu schönenden, negativen Wahlergebnissen für Gerhard Schröder und seiner "Volks"-Partei SPD nieder.

Er mag ja persönlich noch nicht am Ende sein, und Typen wie er mögen angesichts eines sich aufblähenden Europas den noch verbleibenden, nationalen gesellschaftlichen und politischen Gestaltungsraum okkupieren und besetzt halten. Was gibt es noch schlimmeres jenseits von Merkerl, Westerwelle und Co.? Seine Regierungszeit verbindet sich mit dem Einbruch des sozialdemokratischen Selbstverständnisses und dem Entzug, bzw. Verlust des Urvertrauens der einstigen Stammwähler und Sympanthisanten gegenüber "ihrer" Partei. Was das für die SPD jenseits allen herbeigeredeten Modernisierungsgewinns bedeutet, wird sich sehr bald zeigen: anhaltender Vertrauensverlust plus Machtverlust plus Zweitklassigkeit in der politischen Wahrnehmung der Menschen.  

Christoph Keese titelt in der WELT am Sonntag vom 20.06.2004 unter der Rubrik Meinung: Noch ist Schröder nicht am Ende 


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Buchtipp:

Gerald Hüther, Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn, 2004, 2001 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 139 Seiten, 14,90€

"Wir besitzen kein zeitlebens lernfähiges Gehirn, damit wir uns damit bequem im Leben einrichten, sondern damit wir uns mit Hilfe dieses Gehirns auf den Weg machen können, nicht nur am Anfang, sondern zeitlebens."

Selten kann mit so viel Genuß, Vergnügen und kleinen inneren Aha-Erlebnissen ein aus einem hochkomplexen wissenschaftlichen Forschungsfeld, dem über das menschliche Gehirn, in populärwissenschaftlicher, allgemein verständlicher Form gebrachter Text, dazu noch mit Witz und Esprit versetzt, gelesen werden.

Mehr davon, Herr Professor Hüther!

Themenlink:

www.win-future.de

www.vandenhoeck-ruprecht.de

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